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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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oder betrügen. Jetzt brauchen wir nur noch öffentliche Kurse, in denen allen diese wichtigste Erkenntnis der Aufklärung mitgeteilt wird.
Thanatos
    Gegen alle Rhetorik, gegen alles Wenn und Aber, gegen Gott und die Welt und die Menschen, wenige Worte aus Bagdad, dem Eingang zur Hölle, erschaffen aus der Achse des Bösen, jetzt, stündlich jetzt, Einhalten des Atmens und Denkens: »Wir wurden gebeten, die nächsten Verwandten vorbeizuschicken,denen man die Überreste meines Neffen übergeben könnte, der am Montag in einer entsetzlichen Explosion in der Innenstadt getötet wurde. ... So gingen wir hin, seine Mama, seine andere Tante und ich ... Als wir dort ankamen, wurden uns seine Überreste gegeben. Und es waren auch Überreste: Von der Hüfte an abwärts war alles, was sie uns geben konnten. ›Wir haben ihn anhand des Handys in seiner Hosentasche identifiziert. Wenn Sie den Rest wollen, werden Sie ihn selbst suchen müssen. Wir wissen nicht, wie er aussieht ... ‹ Wir wurden fortgeführt, und schon drang ein übler Gestank in meine Nase, und ich mußte würgen. Ohne uns irgendwie vorzuwarnen, kamen wir zu einer Lichtung, die wahrscheinlich früher einmal ein Innengarten gewesen war; überall in der Runde waren Lichthöfe und Räume mit großen Glasfenstern, um die Abendbrise einzufangen, für die Bagdad berühmt ist. Aber jetzt war es ein Schlachthaus, nur daß statt der Rinder überall menschliche Körper herumlagen. Auf der einen Seite lagen vollständige Körper, auf der anderen Seite halbe; und überall Körperteile.
    Wir wurden gefragt, nach was wir suchten. › Obere Hälfte‹, antwortete mein Begleiter, da mir die Worte fehlten. ›Dort drüben.‹ Wir suchten den zerfetzten Körper unseres Jungen zwischen mehr als zehn Überresten von anderen Jungen; mit unseren bloßen Händen wühlten wir in ihnen herum und drehten sie um.
    Jahrtausende später fanden wir ihn, trugen beide Teile nach Hause und fingen mit der Trauerzeremonie an.«
Das Jüngste Gericht
    Als die letzte Menschengruppe von einem Hurrikan in den Himmel gewirbelt wurde, machte Gott der Geschichte ein Ende und ließ das Jüngste Gericht einberufen. Am Anfang sollte eine Kollektivklage gegen die Menschheit stehen, danach sollten die 893 Billionen Einzelverfahren folgen. Für die Kollektivklage hatten alle Erdvölker ihre Vertreter gewähltund diese wiederum als ihren Sprecher den französischen Philosophen Voltaire benannt; er schien ihnen schlagfertiger als die Bedenkenkrämer der späteren Epochen. Gott ließ zu Beginn ein Fenster im Verhandlungsraum öffnen, wies auf die am Horizont sichtbare völlig verwahrloste Erdkugel und zitierte Voltaire aus dem Gedächtnis mit dem Satzfragment »›Besiedelt und verwüstet‹! Was hat die Menschheit aus meiner Schöpfung gemacht? Wie läßt sich dieses Grauen verantworten?« Voltaire hatte mit diesem Einsatz gerechnet. »Es gibt, o Allmächtiger, mit Verlaub, keine Menschheit, das ist es ja! Vielleicht gab es sie, solange Adam allein da war, aber mit der Zweiheit folgte alles andere unabwendbar ohne ein gemeinsames Subjekt. Nicht nur der Zwist, mit ihm ließe sich leben, sondern der eigene Schmerz und das Zuvorkommen der anderen treibt die Menschen unweigerlich auseinander und gegeneinander. Hättest du dem einzelnen Menschen nicht das eigene Leiden und die List gegeben, wir könnten noch in der Nähe des Paradieses als Schafhirten leben, genügsam und gleichgesinnt, frei und gleich, wie du es dir ausgedacht hattest, mit Rebecca, der Schönen, und Jacob. Aber wenn mein Schmerz mein Schmerz ist, dann suche ich ihn mit List von mir abzuwenden, mag die Herde tun und lassen, was sie will. Als Adam sich mit dem Spaten den Fuß durchstieß, war es sein Schmerz und nicht der von Eva, und diese Trennung jedes Menschen von allen anderen gilt bis heute: Das trennende Mein und Dein beginnt mit dem Schmerz und endet beim Eigentum und Kapital, du mußt es wissen, du hast es durch die Jahrtausende verfolgt. Um den Schmerz von mir und meinen Nächsten abzuwenden, muß ich jedem anderen zuvorkommen, koste es, was es wolle; weil ich seine Gedanken und seine Listen nicht kenne, muß ich ihn töten, versklaven, global überrunden und muß für jeden Angriff gerüstet und übergerüstet sein, Liebe hin oder her.

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