Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
denkende Mensch angehalten, sich in andere Menschen einzufühlen. Er musste herausfinden, wo die persönlichen Begabungen und Fähigkeiten der einzelnen Mitarbeiter lagen. Also musste er sich fortan nicht mehr in Aggregate, Stromkreise und die Statik von technischen Systemen hineindenken, sondern in die viel komplexeren Persönlichkeiten und sozialen Interaktionen der Menschen in seinem Umfeld. Er musste sich überlegen, wie er Einfluss darauf nehmen konnte, dass sein Team gut zusammenarbeitete. Dabei war er ja einst Maschinenbauingenieur geworden, weil er die Technik so gut draufhatte – und nicht, weil er Sozialarbeiter werden wollte.
Jetzt saß der Mann verzweifelt vor mir und beschrieb seine größte Not: Zwei Mitarbeiter, die sich permanent wegen des geöffneten oder geschlossenen Bürofensters beharkten, riefen ihn nahezu täglich auf den Plan, um eine Lösung zu finden – beziehungsweise um ihn wechselseitig für ihre jeweiligen Schachzüge zu instrumentalisieren. Beim ersten Mal konnte der eine nicht arbeiten, weil es ihm im Nacken ziehe, beim nächsten Mal klagte der andere über Kopfschmerzen, weil die Luft so schlecht sei. Der Teamleiter hatte keine räumlichen Möglichkeiten, die beiden Streithähne auseinander zu setzen, so versuchte er immer wieder, konstruktiv Lösungen zu finden. Dabei griff er auf technische Strategien zurück, die er kannte und beherrschte. Er setzte Klimaanlagen ein, erstellte Lüftungszeitpläne – alles ohne Erfolg. Die Beschwerden hielten an. Der Ingenieur war damit völlig überfordert. Weder war er in der Lage, ein konstruktives Konfliktgespräch mit den beiden Kontrahenten zu führen, noch konnte er verstehen, was hinter dem Fensterproblem eventuell verborgen lag. Seine technischen Problemlösungsstrategien griffen einfach nicht. Er würde das Problem kommunikativ lösen müssen. Das aber konnte er nicht, hatte es nie gelernt – und ehrlich gesagt, es interessierte ihn auch gar nicht. Doch nun gehörte es zu seinem Job. Dass dieser Mann Stress hatte, war kein Zufall.
Und wie sieht die weibliche Seite der Medaille aus? Einen gehobenen Anspruch an die eigenen Leistungen – das kennen ausbrennende Frauen und Männer gleichermaßen, gleichgültig, in welcher Branche sie tätig sind.
Sabine Viermann war als studierte Maschinenbauingenieurin in einem Unternehmen tätig, das Anlagen für die Medikamentenproduktion herstellte. In ihrem Aufgabenbereich ging es um Projekte in Größenordnungen von Millionen von Euro. Tonnen von Stahl wurden benötigt, ein ganzes Team von Mitarbeitern musste betreut und überwacht werden. Als einzige Frau auf der Managementebene erfüllte Sabine Viermann ihre Rolle tough und mit hoher Präzision. Die ausschließlich männlichen Kollegen respektierten sie und erkannten ihre ausgeprägte Fähigkeit zum analytischen Denken und ihre überzeugende Durchsetzungskraft an. Die Männer in ihrer Umgebung hatte sie im Griff.
Ein Grund für ihren Erfolg war, dass sie in all den Jahren im Maschinenbau gelernt hatte, wie sie sich auf dem männlichen Terrain behaupten konnte. Ihr Posten war äußerst verantwortungsvoll. Bei einem Fehler drohte nicht nur wirtschaftlicher Schaden oder schlimmstenfalls der Verlust des Arbeitsplatzes, sondern darüber hinaus Fehldosierungen bei Medikamenten, die für die Gesundheit der Patienten gefährlich werden konnten. Ein Fehler in Sabine Viermanns Team konnte unabsehbaren Schaden nach sich ziehen. Sie musste also stets fehlerfrei arbeiten und darüber hinaus in besonderem Maße Kontrolle ausüben – bei ihren männlichen Kollegen. Dazu gehörte es, dass sie sie gegebenenfalls auch einmal in ihre Schranken verweisen musste. Und die Männer mussten in ihrer traditionellen Domäne auf einmal lernen: Hier gibt jetzt eine Frau die Befehle.
Männliche Terrains sind für Frauen zunächst einmal ausgesprochen attraktiv: Berufe, bei denen es um Entwickeln und Fortschreiten geht, erwirtschaften einen Mehrwert und führen damit unmittelbar zu einem höheren Einkommen. So wird die öffentliche und gesellschaftliche Macht gefestigt; und die persönliche Freiheit steigt.
Weibliche Terrains dagegen sind für Männer noch immer ausgesprochen unattraktiv: Behüten und Bewahren verbraucht erwirtschafteten Mehrwert und ist von daher mit einem geringen Einkommen verbunden. Öffentliche und gesellschaftliche Macht kann in diesen Bereichen nicht erlangt werden. Und das bedeutet weniger persönliche Freiheit. Selbst wenn Männer von ihrer
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