Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
seinem vertrauten sozialen Umfeld ausgegrenzt zu werden.
Die Emanzipation der Frau ist Chance und Fluch zugleich: Die Frauen dürfen nicht nur Karriere machen – sondern es wird auch von ihnen erwartet, alle ihre Möglichkeiten zu nutzen und zu keiner Zeit ihre Ressourcen brachliegen zu lassen. High-Performance zu jeder Zeit.
High-Performance zu jeder Zeit auch bei den Männern. Nicht umsonst sind fast alle fernsehkochenden Rollenvorbilder im Nachmittagsprogramm coole Männer, von Tim Mälzer über Johann Lafer bis Jamie Oliver. Zusätzlich zu ihrer selbstverständlich erwarteten Karriere wollen und sollen Männer auch im Haushalt mitwirken, für die Kinder da sein und ihren aktiven Beitrag zum funktionierenden Familienleben und Freundeskreis leisten. Wie schön.
Die Frau mit ihren Behüterinstinkten kann nun die toughe Projektentwicklerin geben, der technisch versierte Mann soll als Teamleiter auch Stimmungen zwischen seinen Mitarbeitern vorausahnen. Alles geht, alles ist erlaubt, alles ist machbar. Eindeutige Rollen, die auch schon Vierjährige verstehen und nachspielen können, gibt es nicht mehr. Und die Sicherheit, die diese klaren Rollenmuster mit sich brachten, ist verloren. Die Frage ist: Wie hoch ist der Preis, den wir für die Freiheit bezahlen?
„Wenn ich zaubern könnte, hätte ich einen Mann und zwei Kinder!“
Sabine Viermann, die erfolgreiche Maschinenbauingenieurin, meldete sich für mein Seminar an. Wegen eines Termins kam sie zu spät. Als sie die Tür öffnete, hatte die Gruppe schon mit der Arbeit begonnen. In dunkelblauem Hosenanzug und weißer Bluse trat sie mit energischen Schritten ein, grüßte kurz in die Runde, nahm sich einen Stuhl und setzte sich hin.
Nachdem ich sie vorgestellt hatte, schaute sie sich um, zog eine Augenbraue hoch, und das Lächeln in ihrem Gesicht erreichte weder ihre Augen noch ihre Stimme. Dann meinte sie kühl: „Hier sind ja nur Frauen! Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht gekommen ...“
Diese Frau, die sich jeden Tag mit großer Verantwortung vor einem Trupp Männer behaupten musste, reagierte unter Frauen völlig verunsichert. Es war offensichtlich, dass sie sich nicht wohlfühlte. Ihre Körperhaltung wirkte angespannt und ablehnend. Wenn sie nicht direkt angesprochen wurde, verschränkte sie die Arme, und ihr Blick hatte dauerhaft etwas sehr Skeptisches. Sie wusste offensichtlich nicht, welche Spielregeln nun bei den Frauen galten. Sie verhielt sich ausgesprochen männlich, entschuldigte sich nicht für ihr Zuspätkommen, was Frauen normalerweise unwillkürlich machen.
Sabine Viermann hat es in ihrem Beruf deswegen so weit nach oben geschafft, weil sie die Spielregeln der Männer für ihr Verhalten erlernt und übernommen hat. So erfolgreich dieser Prozess auch war, so stolz die Eltern, so gefüllt das Konto, so beeindruckt die Kollegen, so voller Anerkennung der Chef auch war – so groß war dann aber auch die Leerstelle in ihrer Identität, die dieses Lebenskonstrukt hinterließ.
Doch nach und nach öffnete sie sich. Sie war ja nicht ohne Grund in mein Seminar gekommen: Sie war ausgebrannt, erschöpft und müde. Und außerdem war sie zutiefst verzweifelt. Irgendwann gestand sie: Wenn sie zaubern könnte, hätte sie einen Mann und zwei Kinder.
Sie wollte endlich wieder richtig Frau sein. Zu vieles fehlte in ihrem Leben. Ihre Belastung lag nicht auf der Sachebene, nicht auf der körperlichen oder geistigen Ebene. Es ging nicht um den Kompetenzbeweis und die Leistungserbringung. Da war Sabine Viermann großartig und souverän. Die Belastung lag auch nicht darin, dass sie den Männern Anweisungen erteilen musste. Auf der Sachebene war sie strukturiert und auf der Beziehungsebene geschickt, sie konnte ihr Team bestens führen.
Wie groß die Belastung war, erkannte sie daran, dass sie nicht länger mit der Verantwortung umgehen konnte, dass ein kleiner Fehler ihres Teams Menschenleben gefährden konnte. Genau an dieser Stelle trat die verborgene und verdrängte weibliche Seite der Fürsorge und des Behütens zum Vorschein. Denn dieser Antrieb war unvereinbar mit den Anforderungen der Chefrolle. Weil ihr fürsorglicher Persönlichkeitsanteil im Verborgenen allergrößte Ängste ausstand, Menschen versehentlich ein Leid zuzufügen, konnte sie irgendwann den Rollenanspruch des effizient agierenden Managers nicht mehr damit in Einklang bringen. Die Diskrepanz zwischen dem äußeren Rollenanspruch und der Rolle, die sie im Inneren spürte, führte zu
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