Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
Vanitas-Text ist zu lesen: »David Bailly pinxit Anno 1651«. Zweitens: Im Jahre 1651 war Bailly 67 Jahre alt.
Diese beiden Details verändern alle Verhältnisse. Das >wirkli-che< Selbstporträt - wenn man das so sagen darf - ist nicht der junge Mann mit seinem Malerstock, sondern der Greis im ovalen Rahmen. Bailly hat sich selbst als den Mann gemalt, der er etwa vierzig Jahre zuvor war. Auf dem Selbstporträt sehen wir keinen jungen Mann, der sich seine Zukunft vorstellt, sondern einen alten Mann, der sich an seine Jugend erinnert.
In dem Porträt mit Stilleben kann man jetzt mit einem fast hörbaren Klicken die Zeitperspektive verschieben. In der Umkehrung bewegt sich das Gemälde nicht vorwärts, sondern rückwärts, von rechts nach links, eine Bewegung gegen die Richtung der Zeit. Die beiden Porträts von Bailly bilden zusammen eine Gestaltfigur, nicht im Raum, sondern in der Zeit: man kann beide Vorstellungen darin sehen, aber nicht beide zugleich.
Seltsam genug bleibt die Botschaft bei dieser Umkehrung intakt, denn beide - die Erinnerung an die Jugend und die Aussicht auf das Alter - verweisen auf das Verstreichen der Zeit. Hat Bailly das mit diesem Gemälde auch selbst ausdrücken wollen? Wehmut über eine Jugend, an die man sich liebevoll erinnert, die aber vorbei ist? Ein gut genutztes Leben, in dem sich so viel fachmännisches Können versammelt hat, daß dies schließlich gemalt werden konnte? Oder gerade die letztendliche Vergeblichkeit aller Anstrengung? Wollte er der Malerei, der Kunst, die der Vergänglichkeit Dauerhaftigkeit geben kann, ein Denkmal setzen? Bailly hat keine anderen Berichte hinterlassen als dieses schweigende Gemälde; über seine Motive wird man nichts mehr erfahren.
Das ovale Porträt des alten Bailly befindet sich auf dem Schnittpunkt der Diagonalen. Auf dem Tisch ruhend ist es Teil des Vanitas-Stillebens. Aber es wird auch festgehalten, zärtlich festgehalten, bilde ich mir ein, vom jungen Bailly, gemalt >aus der Erinnerung<. So hat David Bailly, sechs Jahre vor seinem Tod, das Gedächtnis dort angesiedelt, wo es hingehört: auf halbem Weg zwischen dem Beständigen und dem Vergänglichen.
Literatur
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N. Popper-Voskuil, »Self-portraiture and vanitas still-life painting in 17 th Century Holland in reference to David Bailly's vanitas oeuvre«, Pantheon, 31 (1973), 58-74. M.L. Wurfbain, »Vanitas-stilleven David Bailly (1584-1657)«, Openbaar Kunstbe-zit, 13 (1967), 76.
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