Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
eines Nebenerwerbsbauern und Gemischtwarenhändlers in Gemünden (Hunsrück): Volksschule, Mitarbeit im elterlichen Geschäft, Handelsschule, kaufmännischer Angestellter, 1931–1945 Gauleiter von Köln-Aachen, 1944 Reichskommissar für Belgien und Nordfrankreich.
Otto Hellmuth (1895–1967), katholisch, Sohn eines Oberbahnmeisters in Markt-Einersheim (Unterfranken): Realschule, Oberrealschule, Kriegsdienst, Abitur (1919), Studium der Zahnmedizin, Promotion, niedergelassener Zahnarzt, 1928 bis 1945 Gauleiter von Unterfranken (später: Mainfranken).
Friedrich Hildebrandt (1898–1948), evangelisch, Sohn eines Landarbeiters in Kiekindemark (bei Parchim): Volksschule, Landarbeiter, Eisenbahnarbeiter, Soldat, Polizeidienst, dann Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe des Landbundes in der Westprignitz, 1925–1945 Gauleiter von Mecklenburg.
Rudolf Jordan (1902–1988), katholisch, Sohn eines Kaufmanns und Kleinbauern in Großlüder bei Fulda: Volksschule, Präparandenanstalt, Lehrerseminar, zeitweilig Fabrikarbeiter, 1924 Volksschullehrer, 1929 wegen Rechtsradikalismus entlassen, 1931–1945 Gauleiter von Halle-Merseburg (später: Magdeburg-Anhalt).
Karl Kaufmann (1900–1969), katholisch, Sohn eines Wäschereibesitzers in Krefeld: Gymnasium bis zur 7. Klasse, Hilfsarbeiter, Soldat, Hilfsarbeiter, 1929–1945 Gauleiter von Hamburg.
Die Werdegänge der NSDAP-Gauleiter können nicht als absonderlich beiseitegeschoben werden. Es kann keine Rede davon sein, dass hier gescheiterte Existenzen, Deklassierte oder Asoziale am Werk gewesen seien, wie das schon in der Weimarer Zeit behauptet wurde. Vielmehr stehen die Lebensläufe exemplarisch für die von Millionen anderer damaliger Deutscher, die sich unter vergleichbaren Startbedingungen auf den Weg nach oben gemacht hatten. Die meisten der späteren Gauleiter zeigten in der Schul- und Ausbildungszeit den – vermutlich oft von den Eltern stimulierten – Ehrgeiz und die Fähigkeit, auf der Bildungs- und Sozialleiter aufwärtszuklettern. Der Mangel an geistigem und materiellem Rückhalt in ihren Familien ließ viele – ähnlich meinen Großeltern Friedrich und Ottilie Schneider – zunächst scheitern und nach Seitenpfaden für das Weiterkommen suchen. Fast alle Lebenswege führten vom Dorf, von der Kleinstadt in die Großstadt. Die meisten der späteren Gauleiter hatten als sehr junge Männer den Krieg zumindest teilweise mitgemacht und so eine für ihre Generation ebenfalls typische Nachprägung erfahren. Durchschnittlich erreichten sie mit 35 Jahren die hervorgehobene, mit erheblichen Vollmachten ausgestattete Position als Bezirkschefs einer von ihnen selbst mitgeschaffenen, bald höchst beachteten Partei.
Wie bei Hitler selbst reichte das Niveau formaler Bildung der meisten für eine solche Führungsaufgabe nicht aus. Sie mussten sich die erforderlichen Fähigkeiten erarbeiten. Da die NSDAP eine junge Partei war, die ihr hauptamtliches Personal gerade erst zusammenstellte, fehlte den Gauleitern die Glätte alteingesessener bürgerlicher und sozialdemokratischer Parteifunktionäre. Stattdessen zeigten sie das Engagement von Neulingen, die als vielfach verachtete Außenseiter ohne Protektion eine starke Organisation auf die Beine stellten. Weil sie fast alle aus den unteren, jedoch aufstiegsbereiten Schichten kamen, wussten sie aus eigener und familiärer Erfahrung, was es bedeutet, wenn man die Arbeit verliert, wenn das Geld für die Miete fehlt, der Bruder an Tuberkulose stirbt, der Gerichtsvollzieher klingelt oder ein dünkelhafter Offizier den einfachen Soldaten schurigelt. Anders als die Angehörigen der alten Eliten redeten die Gauleiter in der Sprache des Volkes. Sie kannten die Nöte der einfachen Leute.
Hitler setzte die Gauleiter stets persönlich ein. Er suchte fast ausnahmslos solche aus, die zu seiner eigenen Herkunft passten, den eigenen Aufstiegswillen mit ihm teilten. Gleich zu Beginn von »Mein Kampf« verneigt sich Hitler vor seinem Vater, dem Sohn armer Häusler aus dem niederösterreichischen Waldviertel. Alois Hitler war als 13-Jähriger aus dem engen, rückständigen Zuhause nach Wien ausgerissen, brachte es dort zum Schuhmachergesellen und wollte dann, trotz mangelnder Vorbildung, Staatsbeamter werden. »Mit eisernem Fleiß« und nach jahrelangem Mühen erreichte er das Ziel: wurde einfacher Grenzaufseher und stieg schließlich bis zum Zollamtsoberoffizial auf. Mit dem »Stolz des Selbstgewordenen« bestand er darauf, »seinen Sohn in die gleiche, wenn
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