Warum es die Welt nicht gibt
Gegenstand per definitionem »schweiß« ist, der teilweise schwarz und teilweise weiß ist. In der Diagonalsprache gibt es die Prädikate »weiß«, »schwarz«, aber auch »schweiß«. Sider weist nun darauf hin, dass es ein Problem mit »schweiß« gibt. Goodman, der einer der Hauptvertreter eines Konstruktivismus in den USA war, hat Diagonalprädikate eingeführt, um zu zeigen, dass alle Prädikate gleich gut sind, immer vorausgesetzt, dass sie wahre Aussagen ermöglichen. Es ist offensichtlich wahr über das diagonale Rechteck, dass es schweiß ist – und dennoch ist »schweiß« ein unangemessenes Prädikat. Sider insistiert völlig zu Recht darauf, dass es einen Unterschied zwischen »weiß« und »schweiß« gibt: »Weiß« ist eine angemessene Erfassung einer Struktur der Sider-Welt, »schweiß« ist eine menschliche Projektion.
Dies wird noch deutlicher, wenn wir ein anderes Diagonalprädikat einführen, das wahre Aussagen in unserer Welt ermöglicht, aber völlig unangemessen ist.
X ist eine Katze oder der Pumuckl.
Die Gegenstände, die Katzen sind, überschneiden sich mit den Gegenständen, die eine Katze oder der Pumuckl sind. Man kann diese Aussage auch in die Diagonalsprache transkribieren, so dass man etwa erhält:
X ist ein Katzumuckl.
Nehmen wir nun folgende Aussage hinzu:
Entweder die Katze trinkt Milch oder der Pumuckl trinkt Milch.
Sie ist wahr, wenn die Katze Milch trinkt. Selbst wenn der Pumuckl niemals Milch trinkt, ist die Aussage wahr. Auf diese Weise könnte man wahre Aussagen über den Katzumuckl konstruieren, etwa dass er Milch trinkt. Trotzdem gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen normalen und diagonalen Prädikaten. So weist Sider darauf hin, dass schlicht nicht alle Gegenstände zu allen Gegenständen passen. Elektronen passen zu Elektronen, aber nicht zu Katzen, weshalb wir zu Recht kein Wort für »Elektratzen« haben.
Prädikate wie »schweiß«, »Katzumuckl« oder »Elektratze« sind völlig arbiträr, obwohl sie wahre Aussagen ermöglichen. Denn im diagonalen Bereich gibt es »schweiße« Gegenstände und Wesen, die »Elektratzen« sind, so dass man wahre Aussagen über sie fällen kann. Daraus schließt Sider, dass der Neue Realismus (den er selbst anders beschreibt als ich und aus dem er andere Schlüsse zieht) mit einer gewissen Portion Konstruktivismus vereinbar ist. Nur sind die Konstruktionen dann ziemlich willkürliche und verrückte Gebilde, wenngleich sie auch wahre Aussagen ermöglichen. Allerdings darf man daraus, dass es willkürliche Konstruktionen und Wahngebilde gibt, nicht schließen, dass alles eine Konstruktion oder ein Wahngebilde ist.
Dabei führt Sider an einer anderen Stelle in seinem Buch noch einen weiteren Unterschied ein: Man kann nämlich auch noch zwischen einer Diagonalsprache und der menschlichen Subjektivität unterscheiden. Eine Diagonalsprache antwortet nur auf unser Bedürfnis nach Willkür, sie erlaubt uns, wahrheitsfähige Prädikate nach Belieben einzuführen und damit verschiedene Sprachspiele zu entwerfen. Davon kann man subjektive Prädikate unterscheiden. Ein subjektives P rädikat sei hierbei nicht subjektiv im Sinne von privat, also sozusagen nur mein oder nur dein Prädikat, sondern ein Prädikat, das alle Subjekte einer bestimmten Gemeinschaft, sagen wir: alle Menschen, verwenden. Dazu gehört vielleicht das folgende Prädikat:
Heute ist ein schöner Frühlingsmorgen.
Menschen empfinden gewisse Frühlingsmorgen nun einmal als schön, selbst wenn es ihnen manchmal an einem schönen Frühlingsmorgen schlecht geht. Unser Sinn für einen schönen Frühlingsmorgen, unser Frühlingsgefühl, mag in unserer Gattungsgeschichte begründet liegen. Es ist dann zwar objektiv, es betrifft Menschen aufgrund ihrer zoologischen Konstitution, es schneidet aber nicht notwendig an den Fugen entlang, wobei es möglicherweise auch noch andere Wesen von ähnlicher Art gibt, die Frühlingsgefühle empfinden. Im Gleichnis der Sider-Welt gesprochen, wäre diese Aussage beispielsweise ein schwarzer Kreis, den wir aus der rechten Hälfte ausschneiden, objektiv und nicht diagonal, aber dennoch nicht völlig adäquat (Abbildung 8).
Abbildung 8
Dieser Kreis teilt die Sider-Welt zwar nicht entlang ihrer Gelenke ein, er ist aber dennoch objektiver als die Diagonalprädikate. Will sagen: Es gibt viele Unterarten von Konstruktion, Illusion, Willkür, aber auch von Wahrheit. Der Konstruktivismus macht es sich viel zu leicht, indem er nur eine
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