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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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oder die Außenwelt nur eine Konstruktion aus Sinnesdaten ist, ist auch diese These nur eine Konstruktion aus Sinnesdaten. Alles verschwindet im Abgrund eines riesigen (illusionären) Mahlstroms. Nicht nur erkennen wir in diesem Szenario nicht die Dinge an sich, sondern alles, was wir überhaupt erkennen, ist eine Illusion. Dem mentalen Repräsentationalismus zufolge gibt es also weder Gehirne noch mentale Repräsentationen. Alle diese Gegenstände stellen sich als bloße Illusionen heraus.
    Diese effektive (wenn auch ein wenig grobe) argumentative Keule, die man gegen den mentalen Repräsentationalismus und damit gegen den sinnesphysiologischen Konstruktivismus einsetzen kann, lässt sich durch ein feinsinnigeres Argument sekundieren. Wenn der sinnesphysiologische Konstruktivismus wahr wäre, wären alle Gegenstände in unserem Gesichtsfeld Illusionen. Damit gäbe es für uns aber keinen Unterschied mehr zwischen einer Halluzination und einer normalen Wahrnehmung. Ob ich einen Apfel sehe oder einen Apfel halluziniere , machte keinen Unterschied mehr. Denn auch der gesehene Apfel wäre letztlich nur eine Art Halluzination, die das Gehirn (oder wer oder was auch immer) sich macht, indem es durch Nervenreize (oder Reize von was auch immer) dazu angeregt wird. Nicht anders ergeht es auch allen wissenschaftlichen Messinstrumenten – Halluzinationen. Man kann deswegen nicht mehr zwischen wahren und falschen mentalen Repräsentationen unterscheiden. Alle sind wahr, indem sie alle durch Nervenreize entstehen, und alle sind falsch, indem keines der Bilder die Dinge an sich darstellt. Im echten Leben und im Dienst des nackten Überlebens unterscheiden wir aber gern und mit mehr als durchschnittlichem Erfolg zwischen Halluzinationen und wirklichen Dingen, die wir wahrnehmen. Dies bedeutet, dass das angeblich letztlich völlig homogene Gesichtsfeld unter unserer Schädeldecke keineswegs so homogen ist. Es ist eben nicht egal, was der Inhalt einer mentalen Repräsentation ist. Wenn ich einen grünen Apfel wahrnehme, dann liegt dort auch ein grüner Apfel. Wenn ich hingegen einen grünen Apfel halluziniere oder ein farbiges Nachbild auf einer weißen Wand »sehe«, nachdem ich in die Sonne geblickt habe, liegt dort kein grüner Apfel; und auch das Nachbild befindet sich nun nicht auf der weißen Wand.
    Ich möchte auf den folgenden Gedanken hinaus. Wenn wir tatsächlich wahrnehmen, dass ein Apfel in der Obstschale liegt, nehmen wir einen Apfel in der Obstschale und nicht sein visuelles Abbild wahr. Das sehen wir schon daran, dass beliebig viele verschiedene Personen denselben Apfel wahrnehmen können. Allerdings wird ihn jede einzelne dieser Personen anders sehen.
    Aber es muss doch irgendeine fundamentale Schicht der Wirklichkeit geben? Ist es nicht so, dass es Dinge an sich gibt, die den Menschen nur unterschiedlich erscheinen? Ich kann meine linke Hand fühlen, schmecken, riechen, sehen und hören (etwa wenn ich klatsche). Also muss es doch ein Ding an sich, meine linke Hand, geben, das sich von diesen vielfältigen Erscheinungen unterscheidet.
    Genau dagegen wendet der Neue Realismus ein, dass meine linke Hand nicht davon unterschieden ist, dass sie bald so und bald so erscheint. Ich sehe die Hand gerade von hier aus, und jetzt schon von einem anderen Standpunkt. Warum sollte ich daraus entweder schließen, dass ich gar keine Hand habe, oder, dass es meiner Hand völlig äußerlich ist, ob ich sie von hier oder von dort betrachte? Die Pointe ist, dass die Dinge an sich eben auf verschiedene Weisen erscheinen. Diese Erscheinungen sind selbst Dinge an sich. Es kommt darauf an, in welchem Sinnfeld etwas erscheint. Die Pluralität der Erscheinungsweisen ist keine Illusion. Die Wirklichkeit besteht nicht aus harten Tatsachen, die sich der Erscheinung entziehen, sondern gleichermaßen aus Dingen an sich und aus ihren Erscheinungen, wobei auch die Erscheinungen Dinge an sich sind. Wie meine linke Hand mir erscheint, ist genauso real wie meine linke Hand selbst. Dinge an sich erscheinen immer nur in Sinnfeldern, und das heißt, sie sind schon in Tatsachen eingebettet. Auch wenn wir nur ein Nachbild sehen oder einen grünen Apfel halluzinieren, handelt es sich um Tatsachen, etwa die Tatsache, dass wir einen grünen Apfel halluzinieren. Einen grünen Apfel zu halluzinieren heißt ja nicht, zu halluzinieren, dass man einen grünen Apfel halluziniert.
    Der Neue Realismus behauptet vor diesem Hintergrund, dass jede wahre Erkenntnis

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