Warum es die Welt nicht gibt
einzige Form der Erscheinung annimmt und diese dann für ein Produkt verschiedenartiger Gehirne (Menschengehirne im Unterschied zu Delphingehirnen) oder ein Produkt verschiedener menschlicher Sprachen oder sozioökonomischer Faktoren erklärt.
Der Neue Realismus unterstellt dagegen, dass es subjektive Wahrheiten gibt, also Wahrheiten, die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind, die unser menschliches Subjekt oder auch verschiedene Formen menschlicher oder allgemeiner animalischer Subjektivität ermöglichen. Daraus folgt aber weder, dass diese Formen eine Art willkürlicher Halluzination sind oder dass sie irgendwie alle falsch sind, noch, dass wir die Dinge nicht entlang ihrer Fugen, also als Dinge an sich, erkennen können.
Holzwege
Der Konstruktivismus treibt sein Unwesen auf beinahe allen Gebieten der menschlichen Erkenntnis und Wissenschaft. Wann immer wir auf den Begriff »Weltbild« stoßen, müssen wir vermuten, dass wir uns im Einzugsbereich des Konstruktivismus befinden. Auf diesen Umstand hat schon Heidegger in seinem Aufsatz »Die Zeit des Weltbildes« hingewiesen.
Weltbild wesentlich verstanden, meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen. Das Seiende im Ganzen wird jetzt so genommen, dass es erst und nur seiend ist, sofern es durch den vorstellend-herstellenden Menschen gestellt ist. 52
Wenn wir uns die Welt als etwas vorstellen, von dem wir uns ein Bild machen können, haben wir mit dieser Metaphorik bereits unterstellt, dass wir der Welt gegenüberstehen und dass das Bild, das wir uns von der Welt machen, gleichsam mit der Welt selbst verglichen werden sollte. Dasselbe wird häufig durch den Ausdruck einer »Theorie« oder eines »Modells« suggeriert. Eine Theorie der Welt oder gar eine »Theorie von allem« kann es aus vielen Gründen nicht geben. Der einfachste Grund, auf den Heidegger hingewiesen hat, liegt darin, dass die Welt nicht etwa der Gegenstand einer Vorstellung ist. Wir blicken nicht von außen auf die Welt, so dass sich die Frage stellt, ob unser Weltbild adäquat ist. Dies wäre so, als wollte man ein Foto von allem schießen – inklusive des Fotoapparats. Doch dies ist unmöglich. Denn wenn der Fotoapparat auf unserem Foto auftauchte, wäre der fotografierte Fotoapparat nicht vollständig identisch mit dem fotografierenden Fotoapparat, so wie mein Spiegelbild nicht vollständig identisch mit mir selbst ist. Jedes Weltbild bleibt zumindest ein Bild der Welt von innen, sozusagen ein Bild, das sich die Welt von sich selbst macht.
Wir wissen aber überdies schon, dass auch diese Wendung die Sache verfehlt. Denn die Welt, der Gesamtbereich, das Sinnfeld aller Sinnfelder, gibt es überhaupt nicht und kann es auch nicht geben. Deswegen ist der Grundgedanke eines Weltbildes absurd. Alle Weltbilder sind falsch, weil sie Bilder von etwas sein wollen, das es nicht gibt. Und selbst wenn man sagen wollte, dass Weltbilder doch immerhin einen gewissen, wenn auch nicht vollständigen Überblick liefern, sind sie immer noch deshalb verzerrend und einseitig, weil man sich mit ihrer Hilfe niemals ein Bild von der Welt, sondern bestenfalls von einem Weltausschnitt gemacht hat, was meist dazu führt, dass auf dieser einseitigen Grundlage voreilig verallgemeinert wird.
Der Konstruktivismus geht scheinbar unverdächtig davon aus, dass wir Theorien oder Modelle konstruieren. Diese Theorien betrachtet man gleichsam als Netze, die wir über die Welt legen, um dann festzustellen, inwiefern sich die Welt in diesen Netzen verfängt. Dabei übersieht man aber einen ganz einfachen Gedanken, der im Zentrum des Neuen Realismus steht: das Argument aus der Faktizität. 53
F aktizität ist der Umstand, dass es überhaupt etwas gibt. Dieser Umstand ist ein Faktum, eine Tatsache. Das Argument aus der Faktizität wendet gegen den Konstruktivismus ein, dass dieser übersieht, dass er Tatsachen in Anspruch nimmt, die nicht konstruiert sind. Diese Tatsachen betreffen den Konstruktivismus selbst. Denn damit es sich beim Konstruktivismus um den Konstruktivismus und nicht etwa um Bananen oder einen ICE handelt, muss einiges auf ihn zutreffen: Er will eine Theorie sein, die bestimmte Aussagen trifft, insbesondere die Aussage, dass alle Theorien konstruiert sind. In diesem Rahmen behauptet der Konstruktivismus üblicherweise, dass irgendeine Menge von Tatsachen nur relativ auf irgendein epistemisches System besteht, sei dies ein Überzeugungssystem, eine Registratur
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