Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
denen jedes fast so viel wiegt wie Bean bei ihrer Geburt. Leute in Cafés zeigen auf mich. Und ich kann keine Treppen mehr steigen.
»Wenn du eine Wohnung willst, finde eine!«, sage ich zu Simon. Keine Woche später, nachdem er sie genau ein Mal besichtigt hat, hat Simon eine gefunden. Die Wohnung ist eine Altbauwohnung, die sogar für Pariser Verhältnisse alt ist. Es gibt keinen langen Flur, dafür aber nur einen winzig schmalen Bürgersteig davor. Sie muss von Grund auf renoviert werden. Wir kaufen sie. Am Tag vor der Geburt treffe ich mich mit einem Bauunternehmer, um alles zu besprechen.
Die Privatklinik, in der ich Bean zur Welt gebracht habe, war klein und makellos sauber. Es gab eine Schwesternbetreuung rund um die Uhr, einen niemals versiegenden Nachschub an frischen Handtüchern, und es standen Steak und foie gras auf dem Speiseplan. Ich musste keine Windeln wechseln.
Man hat mich gewarnt, dass die Neugeborenenstation des öffentlichen Krankenhauses, auf der ich die Zwillinge zur Welt bringen will, nicht ganz so exklusiv ist. Die medizinische Versorgung in staatlichen französischen Krankenhäusern ist ausgezeichnet, aber dafür ohne jeden Schnickschnack. Man bekommt eine Liste mit Dingen, die man zur Geburt mitbringen soll, und dazu gehören auch Windeln. Es gibt weder individuelle Geburtspläne noch Geburtswannen und auch keine Walking Epidurals . So einen Luxus bekommt hier kein Baby geboten.
Kinder kämen hier »wie am Fließband« zur Welt, heißt es. Ich entscheide mich für das Hôpital Armand-Trousseau, weil es nur zehn Minuten mit dem Taxi von unserer Wohnung entfernt liegt und auf Komplikationen bei Zwillingsgeburten vorbereitet ist. (Später erfahre ich, dass es zu der Kinderklinik gehört, in der Françoise Dolto wöchentlich Visite machte.) Außerdem möchte ich ohnehin nicht in einer Wanne gebären. Wenn es so weit ist, werde ich einfach auf meine New Yorker Chuzpe zurückgreifen, um ein paar Extrawürste zu bekommen. Ich erkläre Simon, dass wir ohnehin schon Mengenrabatt bekommen: Man wird unsere beiden Kinder zum Preis für eines auf die Welt bringen.
Als es mit den Wehen losgeht, ist es überhaupt keine Frage mehr, ob ich eine PDA bekomme oder nicht. Der Arzt fährt mich in einen sterilen Operationssaal, damit er im Notfall sofort einen Kaiserschnitt machen kann. Ich liege flach auf dem Rücken, meine Beine sind in ein Fünfziger-Jahre-Eisengerüst im Retrostil gespannt, und ich bin von Wildfremden mit Duschhauben und Mundschutz umgeben. Ich bitte mehrfach darum, Kissen in den Rücken geschoben zu bekommen, damit ich sehen kann, was passiert. Keine Reaktion. Irgendwann lässt sich jemand dazu herab, mir eine gefaltete Decke unterzuschieben, was die Unbequemlichkeit noch erhöht.
Als die eigentliche Geburt beginnt, ist mein Französisch wie weggeblasen. Ich verstehe nichts von dem, was der Arzt sagt, und kann nur noch Englisch sprechen. Das muss schon öfter vorgekommen sein, da die Hebamme sofort beginnt, zwischen mir und dem Arzt zu dolmetschen. Vielleicht gibt sie nur eine kleine Zusammenfassung dessen, was er sagt, oder aber ihr Englisch ist nicht so toll. Aber sie sagt meist nur »Pressen!« und »Nicht pressen!«.
Als das erste Baby kommt, reicht es mir die Hebamme. Ich bin fasziniert, Baby A ist endlich da! Wir lernen uns gerade erst kennen, als mir die Hebamme auf die Schulter klopft.
»Entschuldigen Sie bitte, aber Sie müssen das andere Baby auch noch zur Welt bringen«, sagt sie und bringt Baby A an einen geheimen Ort. In diesem Moment wird mir klar, dass es kompliziert sein könnte, Zwillinge zu haben.
Neun Minuten später kommt Baby B. Ich sage ihm kurz Hallo, bevor die Schwestern auch mit ihm davonsausen. Tatsächlich sind bald so gut wie alle verschwunden – Simon, die Babys und der Großteil des medizinischen Personals. Ich liege immer noch auf dem Rücken und bin von der Taille abwärts gelähmt. Meine Beine sind noch in den Halterungen und weit gespreizt. Jemand hat beschlossen, die Vorhänge aufzuziehen, sodass mir jetzt jeder, der vorbeigeht, direkt in den Schritt schauen kann, aus dem noch vor fünf Minuten Zwillinge geflutscht sind.
Die Einzige, die noch bei mir ist, ist die Narkoseschwester, die es auch nicht so toll findet, allein zurückgelassen worden zu sein. Sie überspielt ihre Unsicherheit mit Smalltalk: Woher ich komme? Ob mir Paris gefalle?
»Wo sind meine Babys? Wann kann ich sie sehen?«, frage ich. (Mein Französisch ist zurückgekehrt.) Das
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