Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
einer, der uns empfohlen wurde (ein Mann, der praktischerweise Mohel und Kinderarzt ist), nach Paris zurückkehrt.
Anders als bei den Geburten gibt es bei der Beschneidung keinen Mengenrabatt. Vor der kleinen Zeremonie gestehe ich dem Mohel meine Angst, den Jungen falsche Namen gegeben zu haben, und dass ich sie vielleicht ändern müsse. Er gibt mir keinerlei spirituellen Rat, erklärt mir aber als Franzose, dass die bürokratischen Hürden in diesem Fall enorm seien. Irgendwie zerstreut diese Information, gepaart mit dem heiligen Akt der Beschneidung, meine Zweifel. Nach dem Ritual werde ich mir nie mehr Gedanken um ihre Namen machen.
Zum Glück ist meine Mutter aus Miami gekommen. Simon, sie und ich verbringen die meiste Zeit mit den Jungs im Wohnzimmer. Eines Tages klingelt eine Frau bei uns. Sie sei eine Psychologin vom PMI unseres Viertels, erklärt sie, und mache Hausbesuche bei Zwillingsmüttern, was ich für eine sehr taktvolle Art halte, sich nach Nervenzusammenbrüchen zu erkundigen. Einige Tage später schaut eine Hebamme vom PMI vorbei und sieht zu, wie ich Joeys Windel wechsle. Sein Stuhlgang sei »ausgezeichnet«, verkündet sie. Ich betrachte das als offizielle Stellungnahme des französischen Staates.
Es gelingt uns, ein paar Dinge, die wir über französische Erziehung gelernt haben, bei den Jungen anzuwenden. Wir gewöhnen sie langsam an die landesweiten Essenszeiten, was bedeutet, dass viermal täglich gefüttert wird. Als sie wenige Monate alt sind, verlangen sie mit Ausnahme des goûters keinen weiteren Snack mehr.
Leider schaffen wir es nicht, sie an die berühmte Pause zu gewöhnen. Bei neugeborenen Zwillingen, die nicht einmal ein Zimmer für sich allein haben – und einem älteren Kind, das nur wenige Zentimeter entfernt ist – fällt es schwer, auch nur irgendetwas auszuprobieren.
Also leiden wir wieder mal. Nach ungefähr einem Monat ohne Schlaf sind Simon und ich Zombies. Wir greifen auf unsere Filipino-Nanny und ihr Netzwerk aus Cousinen und Freundinnen zurück. Irgendwann lassen wir uns von vier verschiedenen Frauen helfen, die in Schichten 24 Stunden am Tag bei uns sind. Wir zahlen uns dumm und dämlich, bekommen aber wenigstens etwas Schlaf dafür. Ich beginne, Mütter von Mehrlingen als geknechtete Minderheit zu betrachten, so ähnlich wie die Tibeter.
Beide Jungen tun sich schwer mit dem Stillen. Also verbringe ich viel Zeit oben in meinem Schlafzimmer, wo ich eine innige Beziehung zu meiner elektrischen Milchpumpe entwickle. Bean findet irgendwann heraus, dass sie Zeit mit mir alleine verbringen kann, wenn sie sich währenddessen zu mir setzt. Sie lernt, die Fläschchen und Behälter zusammenzuschrauben und kann das WapaWapa -Geräusch der Milchpumpe perfekt nachahmen.
Ich sehe aus wie ein waidwundes Tier. Ich gehe nach unten, um meine Milchfläschchen abzugeben oder schicke Bean damit hinunter, um mich wieder schlafen legen zu können. Es sind so viele Babysitter anwesend, dass ich mich eher als Statistin statt als Hauptdarstellerin fühle. Ich bin davon überzeugt, dass die Jungen bei all diesen Frauen um sie herum gar nicht wissen, dass ich ihre Mutter bin. Ich muss abwesend wirken, denn irgendwann packt mich eine Freundin an den Schultern, sieht mir in die Augen und fragt mich, ob es mir gut gehe.
»Es geht mir gut, mir geht bloß das Geld aus«, sage ich. Ich verbringe so viel Zeit damit, den Jungen »Stille Nacht« vorzusingen – und zwar als Schlaf- statt als Weihnachtslied, dass mich eine der Babysitterinnen fragt, ob ich Katholikin geworden sei.
Währenddessen schreitet die Renovierung unserer Wohnung voran. Zwischen zwei Milchpump-Sessions sause ich hinüber, um nach dem Rechten zu sehen. Ich treffe mich mit dem Beirat der Eigentümerversammlung, einem Betriebswirt um die sechzig, um zu besprechen, ob ich den Zwillingskinderwagen unten im Hausflur stehen lassen darf. Er will sich nicht festlegen.
»Die früheren Eigentümer waren ausgezeichnete Nachbarn«, sagt er.
»Inwiefern?«, frage ich.
»Sie waren sehr diskret.«
Die Wohnung selbst ist ein Riesenchaos. Ich hatte die Pläne eines Abends abgesegnet, als die Jungen gerade Koliken hatten. Plötzlich wird mir klar, dass ich gar nicht wusste, wie ich die Pläne lesen muss. Zweihundert Jahre alte Türen und Wände, die ich für gut befunden hatte, sind entfernt worden. Sie wurden durch neue, minderwertige ersetzt. Erst als die Renovierung abgeschlossen ist und wir einziehen, merke ich, dass ich unsere
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