Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Pariser Wohnung aus dem 19. Jahrhundert in etwas verwandelt habe, das wie ein Hochausapartment in Miami aussieht – bloß mit Mäusen. Ich habe gar nicht gesehen, wie schön Paris ist – die schweren Türen, der raffinierte Stuck – bis ich einen winzigen Teil davon zu enormen Kosten zerstört habe.
Jetzt verbringe ich viel Zeit damit, darüber nachzugrübeln. »Du weißt, dass Edith Piaf gesagt hat: › Je ne regrette rien ‹ (»Ich bereue nichts«)?«, frage ich Simon. »Nun, für mich gilt: › Je regrette tout‹ «. (»Ich bereue alles.«)
Manchmal nimmt unser kostspieliges, anstrengendes Leben fast schon surreale Züge an. Als die Jungen etwas älter sind, schaut eine Single-Freundin kurz vor dem Schlafengehen vorbei. Sie sieht zu, wie die Jungen in ihren Strampelanzügen Möbel hinauf- und wieder hinunterklettern, als vollführten sie irgendeinen dadaistischen Tanz. Später marschieren sie schweigend durch die Wohnung, während sie ihre Zahnbürsten wie Talismane emporhalten. Simon sieht ihnen dabei zu und tut so, als würde er einen Dokumentarfilm kommentieren: »Für diese Jungen und ihre Kultur sind Zahnbürsten seltsame Statussymbole«, verkündet er.
Doch meist geht unser neues Leben mit extremen Gefühlen einher. Simon ergeht sich erschöpft und verzweifelt in Selbstmitleid, wobei er es nicht lassen kann, schnippische Bemerkungen zu machen: »Vielleicht komme ich ja in achtzehn Jahren wieder zu meiner Tasse Kaffee.« Er beschreibt die Angst, die ihn überfällt, wenn er sich unserem Haus nähert und schon von Weitem das Geschrei hört. Drei Kinder unter drei sind ganz schön viele, selbst in unserem fruchtbaren Freundeskreis.
Doch mitten in all dem Weinen und Klagen gibt es auch schöne Momente. Eines Nachmittags hellt sich meine Stimmung deutlich auf, als Leo ganze fünf Minuten lang fröhlich und gelassen ist. In der ersten Nacht, in der er sieben Stunden am Stück schläft, macht Simon einen Freudentanz durch die ganze Wohnung und singt Titties and Beer von Frank Zappa.
Trotzdem fühle ich mich meistens noch genauso wie bei der Geburt der Jungen: nämlich hoffnungslos überfordert. Ich frage meine Freundin Hélène – die ebenfalls Zwillinge und noch ein weiteres Kind hat –, ob sie noch mehr Kinder möchte. »Ich glaube nicht, ich bin am Rande meiner Kräfte«, gesteht sie. Ich weiß genau, was sie meint. Ich fürchte nur, dass ich meine Kräfte überschätzt habe. Sogar meine Mutter, die mich jahrelang um Enkel angefleht hat, rät mir, keine weiteren Kinder zu bekommen.
Wie zur Bestätigung kommt Bean eines Tages aus der Schule und verkündet, ich sei eine maman crotte de nez . Sofort gebe ich diesen Begriff in Google Translate ein. Wie sich herausstellt, hat sie mich einen »Mama-Popel« genannt. Unter den gegebenen Umständen ist das eine ziemlich gute Beschreibung.
»Ich liebe dieses Baguette!«
Freunde erzählen mir, dass Eltern von Zwillingen hohe Scheidungsraten aufweisen. Ich weiß nicht, ob das statistisch nachprüfbar ist, kann aber gut verstehen, wie dieses Gerücht entstanden ist.
In den Monaten nach der Geburt der Zwillinge geraten Simon und ich ständig aneinander. Einmal sagt er im Streit, ich sei »abstoßend«.
»Abstoßend?«, frage ich. Selbst in unserer derzeitigen Verfassung ist das ein Tiefschlag.
»Na gut, dann eben nur abschreckend«, sagt er.
Um mich daran zu erinnern, höflich zu bleiben, hänge ich in der ganzen Wohnung Zettel auf mit dem Vermerk: »Simon nicht anschnauzen!« Einer steckt am Badezimmerspiegel, sodass sämtliche Babysitter ihn sehen können. Simon und ich sind zu müde, um zu merken, dass wir streiten, weil wir müde sind. Mir ist inzwischen egal, woran er denkt, obwohl es sich wahrscheinlich bloß um niederländischen Fußball handelt.
Während der seltenen freien Momente verschanzt sich Simon am liebsten mit einer Zeitschrift im Bett. Wage ich es, ihn zu stören, sagt er: »Nichts, was du jetzt vorbringen kannst, ist interessanter als der Artikel, den ich gerade im New Yorker lese.«
Eines Tages habe ich eine Eingebung. »Ich glaube, wir passen eigentlich ziemlich gut zusammen«, verkünde ich. »Du bist reizbar, und ich bin reizbar.«
Anscheinend haben wir keine gute Ausstrahlung. Ein kinderloses Paar aus Chicago, das uns besucht, kommt nach vier Tagen zu dem Schluss, dass es doch keine Kinder will. Nach einem Wochenende en famille beschließt Bean, ebenfalls keine Kinder zu wollen. »Kinder sind einfach zu kompliziert«, sagt
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