Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
die Kinder und ich von meiner Freundin Hélène und ihrem Mann William in ihr Wochenendhaus auf dem Land eingeladen. Sie haben ebenfalls Zwillinge und ein weiteres Kind. Hélène, eine große Frau mit einem herzförmigen Gesicht und verträumten blauen Augen, ist in Reims, der Hauptstadt der Champagne, aufgewachsen. Das Ferienhaus ihrer Familie liegt unweit der Ardennen, dicht an der belgischen Grenze.
Hélène und William sind tagsüber hingebungsvolle Eltern. Aber mir fällt auf, dass sie jeden Abend, den wir dort sind, Zigaretten und Wein herausholen, sobald die Kinder im Bett sind. Dann machen sie das Radio an und genießen ganz offensichtlich die »Erwachsenenzeit«. Sie möchten profiter (»genießen«) – die Gesellschaft von Freunden und die warmen Sommerabende. (Eines Nachmittags, als wir mit den Kindern im Auto sitzen, ist Hélène so versessen darauf zu profiter , dass sie einfach neben einem Feld hält, eine Decke aus dem Kofferraum nimmt und einen Kuchen für unser goûter hervorholt. Die Kulisse ist dermaßen bilderbuchmäßig, dass es schon fast weh tut.)
An den Wochenenden steht William mit den Kindern früh auf. Eines Morgens verlässt er das Haus, während Simon auf die Kinder aufpasst, um frische pains au chocolat und knuspriges Baguette zu kaufen. Hélène kommt irgendwann im Schlafanzug und mit entzückend zerzausten Haaren herunter und lässt sich am Frühstückstisch auf einen Stuhl plumpsen. Als sie das Brot sieht, das William gekauft hat, sagt sie: »J’adore cette baguette!« (»Ich liebe dieses Baguette!«).
Das ist eine ganz einfache, liebevolle Bemerkung. Ich kann mir nicht vorstellen, so etwas zu Simon zu sagen. Normalerweise beschwere ich mich, dass er das falsche Baguette gekauft hat, oder befürchte, dass er beim Frühstückmachen ein Chaos hinterlässt, das ich anschließend aufräumen muss. Wenn ich morgens aufwache, bin ich ihm gegenüber nicht gerade großherzig. Er bringt mich nicht zum Strahlen, zumindest nicht schon am frühen Morgen. Diese mädchenhafte Freude – j’adore cette baguette – gibt es zwischen uns leider nicht mehr.
Ich erzähle Simon die Baguette-Geschichte, als wir von den Ardennen nach Hause fahren, vorbei an Feldern mit gelben Blumen und dem einen oder anderen Kriegerdenkmal. »Wir brauchen mehr J’adore cette baguette -Momente«, sagt er. Und er hat Recht, die brauchen wir wirklich.
45 Jean M. Twenge, W. Keith Campbell und Craig A. Foster, »Parenthood and Marital Satisfaction: A Meta-Analytic Review«in: Journal of Marriage and Family 65, 2 (August 2003): s. S. 574–583.
46 In einer berühmten Studie aus dem Jahr 2004 sagten berufstätige Mütter aus Texas, die Kinderbetreuung gehöre zu den unangenehmsten Alltagspflichten. Sie zögen die Hausarbeit vor. Daniel Kahneman et al., »A Survey Method for Characterizing Daily Life Experience: The Day Reconstruction Method«,in Science vom 3. Dezember 2004.
47 Jean M. Twenge et al., »Parenthood and Marital Satisfaction«.
48 Vera Dyck und Kerry Daly,»Rising to the Challenge: Fathers’ Role in the Negotiation of Couple Time« in: Leisure Studies 25, 2 (2006): S. 201–217.
49 Auf dem Global Gender Gap Index 2010 , der vom World Economic Forum entwickelt wurde, stehen die Vereinigten Staaten auf Platz 19 und Frankreich auf Rang 46, Deutschland auf Rang 11.
50 Laut dem Institut National de la statistique et des études économiques (INSEE).
51 In einer Studie von 2008 gaben 49 Prozent der berufstätigen amerikanischen Männer an, dass sie sich genauso viel, wenn nicht mehr um die Kinder kümmern als ihre Partnerin. Aber nur 31 Prozent der Frauen sahen das so … Ellen Galinsky, Kerstin Aumann und James T. Bond, Times Are Changing: Gender and Generation at Work and at Home.
52 Ebda.
53 Denise Auer, Études et Résultats, »Le temps des parents après une naissance«, Direction de la recherche, des études, de l’évaluation et des statistiques (DREES) , April 2006.
»Du musst nur probieren!«
Die am meisten gestellte Frage zu Zwillingen, abgesehen von der, wie sie gezeugt wurden, lautet, worin sie sich unterscheiden. Manche Zwillingsmütter können das ganz genau sagen: »Eine ist die Geberin, die andere die Nehmerin«, flötet die Mutter zweijähriger Mädchen, als ich sie in einem Park in Miami treffe. »Sie verstehen sich prächtig!«
So einfach ist das bei Leo und Joey nicht. Sie wirken wie ein altes Ehepaar – unzertrennlich, aber ständig streitend. (Vielleicht haben sie sich das von
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