Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
nach den Feiertagen nicht mehr auf Lager sein würden.
Mäkelige Kinder mit Essen zu versorgen ist harte Arbeit. Eine Mutter aus Long Island macht jedem ihrer vier Kinder ein anderes Frühstück und ein fünftes für ihren Mann. Ein amerikanischer Vater, der mit seiner Familie Paris besichtigt, sagt in ehrfürchtigem Ton, sein Siebenjähriger habe Probleme mit der Konsistenz verschiedener Lebensmittel. Der Junge möge Käse und Tortillas, aber nur getrennt voneinander. Er weigere sich, sie gemeinsam zu essen, weil die Tortilla dann »zu knusprig« werde, flüstert er mit einem Seitenblick auf seinen Sohn.
Statt gar nicht erst auf diese Mäkelei mit dem Essen einzugehen, kapitulieren die Eltern davor. In What to Expect: The Toddler Years steht: »Einem Kleinkind zu erlauben, sich monatelang fast ausschließlich von Müsli, Milch und Nudeln oder Brot und Käse zu ernähren (vorausgesetzt, ein paar Obst- und/oder Gemüsesorten sind auch mit dabei, die für etwas mehr Ausgewogenheit sorgen), bedeutet nicht, es zu verwöhnen, und es ist auch nicht inakzeptabel. Es wäre vielmehr unfair, darauf zu bestehen, dass Kinder essen sollen, was ihnen vorgesetzt wird, während die Erwachsenen bei Tisch freie Wahl haben.«
Und dann wären da noch die Snacks: Bei meinen Amerikabesuchen tauchen zwischen den Mahlzeiten ständig irgendwelche Tüten mit Salzbrezeln und anderem Knabberzeug auf. Dominique, eine französische Mutter, die in New York lebt, erzählt, sie sei anfangs schockiert gewesen, dass ihre Tochter in der Vorschule jede Stunde etwas zu essen bekommt. Sie staunte auch, als sie sah, wie Eltern ihre Kinder am Spielplatz rund um die Uhr mit Snacks versorgen. »Bekommt ein Kleinkind einen Wutanfall, kriegt es was zu essen, damit es sich beruhigt. Essen dient dazu, Krisen zu vermeiden.«
In Frankreich wäre das undenkbar. In Paris kaufe ich überwiegend im Supermarkt ein. Aber als Angehörige der Mittelschicht haben meine Kinder noch nie Maissirup oder abgepacktes Fertigbrot gegessen. Statt Fruchtgummis essen sie Früchte. Sie sind dermaßen an frisches Obst gewöhnt, dass sie Fertigprodukte auf Obstbasis komisch finden.
Wie bereits erwähnt, essen französische Kinder in der Regel nur zu den Mahlzeiten sowie ein goûter am Nachmittag. Ich habe noch nie gesehen, dass sie um zehn Uhr vormittags Salzbrezeln (oder irgendetwas anderes) im Park essen. In einigen französischen Lokalen gibt es ebenfalls Kindermenüs. Diese Menüs sind in der Regel auch keine haute cuisine . Oft gibt es Steak mit Pommes. (»Zu Hause essen wir nie Pommes, mein Kind weiß, dass es nur dann welche gibt«, so meine Freundin Christine.)
Aber in den meisten Restaurants wird erwartet, dass Kinder von der normalen Speisekarte bestellen. Als ich in einem netten italienischen Lokal um Spaghetti mit Tomatensauce für Bean bitte, schlägt die französische Kellnerin freundlich vor, ihr etwas Aufregenderes zu bestellen – das Nudelgericht mit den Auberginen zum Beispiel.
McDonald’s macht in Frankreich gute Geschäfte. Aber eine Regierungskampagne, die daran erinnert, mindestens fünf Mal am Tag Obst und Gemüse zu essen, ist zu einem geflügelten Wort geworden. (Ein beliebtes Mittagslokal in Paris heißt 5 Fruits et Légumes Chaque Jour .)
Obwohl auch französische Kinder manchmal Hamburger und Pommes essen, bin ich noch keinem französischen Kind begegnet, das nur ein einziges Nahrungsmittel gegessen hätte, geschweige denn französischen Eltern, die das erlauben. Es ist nicht so, dass französische Kinder auf mehr Gemüse bestehen. Natürlich haben sie auch bestimmte Essensvorlieben, und es gibt jede Menge wählerische französische Dreijährige. Aber diese Kinder können nicht einfach bestimmte Konsistenzen, Farben und Nährstoffe verweigern, nur weil ihnen das so passt. Während es in Amerika und Großbritannien für ganz normal gehalten wird, extrem wählerisch beim Essen zu sein, betrachten französische Eltern das als gefährliche Essstörung oder bestenfalls als schlechte Angewohnheit.
Die Folgen dieser Unterschiede sind enorm: Nur 3,1 Prozent der französischen Fünf- bis Sechsjährigen sind übergewichtig. 54 In Amerika sind 10,4 Prozent der Kinder zwischen zwei und fünf übergewichtig. 55 Zwischen älteren französischen und amerikanischen Kindern ist diese Kluft sogar noch größer. Sogar in wohlhabenden amerikanischen Wohngegenden sehe ich ständig dicke Kinder. Doch nach fünf Jahren auf französischen Spielplätzen habe ich genau ein
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