Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Kind gesehen, das als übergewichtig durchgehen kann (und auch das war vermutlich nur zu Besuch in Frankreich).
Was das Essen angeht, werde ich wohl dieselbe Frage stellen müssen, die ich schon in so vielen anderen Bereichen der französischen Kindererziehung gestellt habe: Wie machen die französischen Eltern das? Wie schaffen sie es, ihre Kinder in kleine Gourmets zu verwandeln? Und warum werden französische Kinder nicht dick? Ich sehe die Ergebnisse überall, aber wie werden französische Kinder so?
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Ich befürchte, das beginnt schon im Babyalter. Als Bean ein halbes Jahr alt ist und ich sie auf feste Nahrung umstellen will, merke ich, dass in französischen Supermärkten nicht die Reisflocken verkauft werden, die meine Mutter sowie meine angloamerikanischen Freundinnen für Babynahrung halten. Ich muss ins Reformhaus gehen, um eine teure, aus Deutschland importierte Bioversion zu bekommen.
Wie sich herausstellt, geben französische Eltern ihren Babys keinen langweiligen, farblosen Getreidebrei zu essen. Vom ersten Bissen an servieren sie Babys aromatisches Gemüse. Die erste feste Nahrung für französische Babys besteht in der Regel aus gedämpften, pürierten grünen Bohnen, Spinatblättern, Karotten, geschälten Zucchini und dem weißen Teil vom Lauch.
Amerikanische Babys essen natürlich auch Gemüse, manchmal sogar von Anfang an. Aber wir Angloamerikaner neigen dazu, Gemüse als fade Pflicht-Vitaminlieferanten zu betrachten. Obwohl wir unbedingt wollen, dass unsere Kinder Gemüse essen, erwarten wir nicht unbedingt, dass es ihnen schmeckt. Bestseller-Kochbücher erklären Eltern, wie sie Gemüse in Fleischbällchen, Fischstäbchen und Käsemakkaroni schummeln können, ohne dass es den Kindern überhaupt auffällt. Ich habe gesehen, wie Freundinnen von mir mit Joghurt bedecktes Gemüse in Kindermünder gelöffelt haben, während ihr Nachwuchs fernsah und gar nicht merkte, was er da aß. »Wer weiß, wie lange das noch geht!«, klagte die Mutter.
Französische Eltern bringen légumes eine ganz andere Wertschätzung entgegen. Sie erzählen von der ersten Begegnung ihres Kindes mit Sellerie oder Linsen, als handle es sich um eine Beziehung auf Lebenszeit. »Ich wollte, dass sie den Geschmack von Möhren kennen lernt. Und dann den von Zucchini«, schwärmt Samia, die Mutter mit den Oben-ohne-Fotos. Wie andere französische Eltern betrachtet Samia Gemüse – genau wie Obst – als Grundbaustein der kulinarischen éducation ihrer Tochter sowie als Mittel, um sie mit den vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen vertraut zu machen.
In meinem amerikanischen Babyratgeber steht, dass man erst lernen muss, bestimmte Nahrungsmittel zu mögen. Lehnt ein Kind Nahrung ab, sollten die Eltern ein paar Tage warten und sie ihm dann noch mal anbieten. Meine angloamerikanischen Freundinnen und ich halten es alle so. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass Babys einfach keine Avocados, Süßkartoffeln oder Spinat mögen, wenn es nicht klappt.
In Frankreich ist derselbe Rat, den Babys die Nahrungsmittel wiederholt anzubieten, eine regelrechte Mission. Eltern gehen zwar davon aus, dass Kinder bestimmte Geschmacksvorlieben haben, sie sind aber auch davon überzeugt, dass der Geschmack eines jeden Gemüses von Natur aus interessant ist. Eltern betrachten es als ihre Aufgabe, dem Kind das nahezubringen. So wie sie dem Kind das Schlafen, das Warten und das bonjour -Sagen beibringen, müssen sie ihm auch das Schmecken beibringen.
Niemand behauptet, es sei einfach, all diese Nahrungsmittel auf dem Speiseplan der Kinder einzuführen. In einer Gratisbroschüre der französischen Regierung zum Thema Kinderernährung steht, jedes Baby sei anders. »Manche freuen sich, neue Lebensmittel zu entdecken. Andere sind weniger wissbegierig, und die Erweiterung der Speisenpalette dauert länger.« Aber die Broschüre fordert die Eltern auf, hartnäckig zu bleiben, wenn es um das Anbieten neuer Nahrungsmittel geht, und nicht gleich aufzugeben, wenn das Kind etwas dreimal oder öfter abgelehnt hat.
Französische Eltern gehen langsam vor. »Bitten Sie das Kind, nur ein wenig zu probieren, und gehen Sie anschließend zum nächsten Gang über«, so die Broschüre. Die Autoren raten dazu, etwas anderes anzubieten, um das abgelehnte Nahrungsmittel zu ersetzen. Möchte das Kind irgendetwas partout nicht essen, sollten die Eltern möglichst neutral reagieren. »Geht man nicht zu sehr auf seine Weigerung ein, wird das Kind seine Haltung
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