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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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schon nicht mehr hören. Darüber wurde mir Bultmanns frühes Werk Die Geschichte der synoptischen Tradition von 1921 wichtiger als seine Theologie des Neuen Testaments von 1953. Ich denke auch heute noch, über Bultmann sollte niemand sprechen, der nicht dieses Werk zusammen mit einer Synopse der Evangelien mit dem Bleistift in der Hand durchgearbeitet hat. Jedenfalls wurde ich Schüler des frühen Bultmann, nicht des ‹Theologen› und Entmythologisierers, sondern des Philologen und Historikers. Sein Werk Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen (1949) wurde eines meiner Lieblingsbücher: Das Theologisch-Systematische bei ihm schien mir aus zweiter Hand; es diente seinen Verkündigungsabsichten. Ich lernte Hans-Werner Bartsch kennen, der in der Entmythologisierungsdebatte tätig war; ich begann, mich mit Bultmannschülern zu beschäftigen, fand sie aber mehr an Bultmanns ‹Übersetzung› als an historischer Forschung interessiert. Sie dachten mir zu viel ans Predigen und redeten aus ihrer festen Burg heraus. Bis ich auf Herbert Braun (1903–1991) stieß. Ich weiß nicht mehr, was ich zuerst von ihm gelesen habe; es dürfte ein einzelner Aufsatz gewesen sein; ich atmete auf: seine Sprache war am wenigsten predigerhaft; sie klang härter und weniger redundant. Ich hatte den Eindruck, Braun bleibe länger als seine Kollegen beim historisch-kritischen Schwarzbrot. Er wollte offenbar wissen, was am Anfang des Christentums wirklich gewesen ist. Und das war das Problem, das Matthias Gelzer mir hinterlassen hatte. So erkundigte ich mich denn, wo Herbert Braun lebe, und erfuhr, er lehre in Mainz als Professor. Ein älterer Freund von mir und Kollege von Braun vermittelte mir den Zugang, und so fuhr ich einige Wochen lang von Seligenstadt, wo ich als Lehrer auch am Samstag arbeitete, vorbei an Frankfurt, wo ich wohnte, in meine alte Heimatstadt. Ich hatte einen methodenstrengen Gelehrten erwartet, fand aber einen freundlichen Herrn vor, der gegen die Fünfzig ging und den meine Fragen offensichtlich interessierten. Ich erzählte ihm, ich sei ursprünglich katholisch, komme aber von der Alten Geschichte her und hätte einen Sack voller Zweifel. Mir war vorher klar, daß ich ihn nicht nach Theologenart befragen konnte: Glauben Sie an die Gottheit Christi? Wir sprachen über Einzelheiten; er war ein guter Kenner von Qumran, er verstand sich auch auf die antike Philosophie, und nie hat er angefangen zu predigen. Er holte seine Pfeife heraus, stopfte sie umständlich und redete im Plauderton gelassen weiter. Er mischte gelegentlich die Bemerkung ein, bei solchen Themen komme es nicht nur auf das Was, sondern auch auf das Wie, auf Wortwahl und Tonfall an. Er war im Denken um Konsequenz bemüht, in der Sprache um Takt und Präzision. Der Mann, den ich mir als den radikalsten der Bultmannianer ausgesucht hatte, stellte in unseren Unterhaltungen das Problem der Bultmannschen ‹Übersetzung› zurück. Er redete von Historiker zu Historiker; wir fanden beide Gefallen am Plaudern. Er lud mich mehrfach ein, am nächsten Samstag wieder in sein Zimmer im ersten Stock der ehemaligen Flakkaserne zu kommen, und so ergab sich eine Serie von Unterhaltungen.
    Das Wort ‹Entmythologisierung› dürfte kaum gefallen sein. Ich erinnere mich nicht mehr an einzelne Wendungen, wohl aber an seine theoretische Position. Ich wollte wissen, was er vom historischen Jesus wisse. Es war fast nichts. Hingegen malte er aus, Jesus seien im Lauf der urchristlichen Geschichte Aussagenschicht auf Aussagenschicht aufgetragen worden, erst die jüdischen Prädikate wie Messias und Menschensohn, der bald zum Weltende in Herrlichkeit wiederkomme; in der hellenistischen Welt wurde er Gottessohn, Herr und Retter. Jetzt kam er aus der Himmelswelt und führte seine Gläubigen dorthin zurück; nun sagte man von ihm, er sei von einer Jungfrau geboren und sei aus dem Grabe auferstanden. Die Prädikate wurden im Lauf der Zeit immer mächtiger. Und nur wer sie zustimmend nachsprach, war ein ‹wahrer› Christ. Sie streiften alles Geschichtlich-Relative ab. Braun stöhnte: Nicht was ein Christenmensch im Leben tat, sondern welche Titel er Jesus zusprach, wurde zum Charakteristikum der Christen.
    Herbert Braun gestand in aller Ruhe ein, daß Jesus und Paulus sich über das nahe Weltende getäuscht haben. Er selbst hege keine Hoffnung aufs Jenseits. Das Elend des Christentums sei: die Christusformeln überdeckten die Jesus-Erfahrung; viel Pessimismus, viel

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