Warum ich?: Ohne Ausweg... (German Edition)
ein durchschnittlicher Schüler und die Mitschüler bekamen nie das Gefühl vermittelt, dass er bevorzugt wurde.
Timo musste immer sehr früh mit uns da sein, weil wir natürlich noch einige Dinge im Lehrerzimmer zu besprechen hatten.
Normalerweise gesellte er sich dann zu den Kindern, die mit dem Bus zur Schule fuhren. Diese kamen immer früher als die Anderen an. An diesem Tag nahm ich ihn mit zum Lehrerzimmer, da ich wusste, dass er in seiner Klasse einen neuen Schüler bekommen sollte. Sicherlich würde der sich freuen vorab einen Mitschüler kennenzulernen, um die Klasse nicht allein betreten zu müssen.
Ich lieferte meinen Sohn bei seinem Klassenlehrer ab und sah aus dem Augenwinkel den neuen Schüler mit seinen Eltern vor dem Büro des Rektors stehen. Ein schmaler, dunkelhaariger Junge, den ich nur von hinten begutachten konnte. Er sah aus, wie jeder andere an der Schule auch. Einzig seine Haltung irritierte mich, die gebeugt und unterwürfig wirkte. Er sah weder seine Mutter noch seinen Vater an. Aus den Unterlagen wusste ich, dass er Jannis Rossmann hieß, sechzehn Jahre alt und einmal sitzen geblieben war.
Ich würde ihn in Französisch und Politik unterrichten. Mein Sohn Timo, ein sehr aufgeschlossener Typ, versuchte, ihn sofort in ein Gespräch zu verwickeln aber Jannis blockte ab und so kam Timo zu mir zurück.
"Der ist komisch Papa, sieht aus, als hätte er Schiss vor irgendetwas", meinte Timo und sagte den Satz, der mich ins offene Verderben rennen ließ.
Betty und ich hatten uns schon immer sozial eingesetzt.
Projekte, die benachteiligten Kindern helfen sollten, ins Leben gerufen. Witterten wir irgendwo, dass unsere Hilfe benötigt wurde, blieben wir am Ball und gaben nicht eher auf, bis wir Besserung herbeigeführt hatten.
Jannis hatte noch nicht einen Tag auf dieser Schule verbracht, und schon stand er unter Bewachung von Familie Kramer. Thomas Kramer ist mein Name und er wird auf meinem Grabstein stehen, zusammen mit den Daten 1976-2012.
Zunächst vergaß ich Jannis und das, was mir mein Sohn gesagt hatte. In meiner Klasse wurde ein Aufsatz geschrieben und die Beaufsichtigung lenkte mich genügend ab.
Auch den Rest des Schultages verschwendete ich keinen Gedanken an diesen Schlüsselsatz oder den neuen Schüler.
Erst als Betty und ich nach Schulschluss am Auto auf Timo warteten, wurde ich an den Neuen erinnert.
Timo schlenderte mit ihm in Richtung unseres Wagens. In eine angeregte Unterhaltung vertieft, wäre er beinah am Auto vorbei gelaufen. Betty sah mich fragend an und ich erzählte ihr, wer der Junge war.
Jannis Rossmann unterschied sich nur unwesentlich von unserem Sohn. Einen halben Kopf kleiner, sauber gekleidet; angesagte Marken, wie ich auf den ersten Blick erkennen konnte.
Als sich die beiden Jungs zu uns umdrehten, konnte ich Jannis zum ersten Mal ins Gesicht schauen.
Ein hübscher Junge auf dem Weg zum Mann. Erster Flaum auf den Wagen. Braunes Haar, etwas zu lang.
Ansonsten fiel mir nur sein Blick auf. Eine besondere Ernsthaftigkeit lag darin, und obwohl sich das widerspricht, Trotz und Unbekümmertheit.
Timo verabschiedete sich von ihm, klopfte ihm auf die Schulter und kam zu uns rüber, während Jannis in die andere Richtung verschwand.
Auf der Fahrt nach Hause fragte Betty Ihren Sohn erst einmal aus, erfuhr aber nur mehr oder weniger Unwichtiges. Die beiden hatten sich angeregt über die neuesten PC-Spiele unterhalten, außerdem saß Timo neben Jannis.
"Und Timo, ist er immer noch komisch, so wie du heute Morgen dachtest?", fragte ich neugierig.
Mein Sohn schüttelte den Kopf und verneinte. Er hätte wohl nur Schiss wegen der neuen Situation gehabt. Jetzt käme er ihm eigentlich ganz normal vor.
Das Thema war für mich damit erst mal erledigt. Auf den gesunden Menschenverstand meines Sohnes konnte ich mich verlassen. Außerdem würde ich noch mehr als genug Gelegenheit bekommen, Jannis genauer unter die Lupe zu nehmen.
Auf dem Rückweg fuhren wir bei meinen Eltern vorbei, um Jacky abzuholen. Nach der Schule beaufsichtigte meine Mutter unsere Jüngste und versorgte sie, bis wir sie wieder holen kamen.
Alle gemeinsam fuhren wir nach Hause. Schularbeiten machen, Jacky zum Sport fahren. Timo zum Gitarrenunterricht. Hausarbeit erledigen. Später alle wieder abholen, Abendessen und die Kinder, eher gesagt die Kleine ins Bett bringen. Dann irgendwann etwas Ruhe zu zweit, mit Betty Probleme besprechen, kuscheln, vielleicht auch mehr.
So verlief unser Tag, unsere Woche.
Zweimal bekam ich
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