Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
essich jedoch zu einem Großteil um die europäischen Banken. Toll! Wir haben es nun mit einem Kontinent zu tun, auf dem niemand weiß, welche Banken zu den wandelnden Toten gehören und welche Banken nur deshalb so sabbern, schlurfen und ächzend um mehrVerstand flehen, weil das zu ihren ganz normalen Verhaltensweisen gehört. In Horrorfilmen können Zombies relativ leicht aus der Welt geschafft werden: Sie haben keine Investoren, sie stellen keine Lobbyisten ein, sie verteilen keine Parteispendengelder und sie können nicht einfach zum Telefonhörer greifen, um den machthabenden Politikern Angst einzujagen. Aber Zombiebanken könnendas alles ganz ungehindert tun und sind daher ein viel größeres Problem: ein beängstigend großes Problem. Und im Gegensatz zu Zombies gibt es sie wirklich.
2. Kapitel
Eine Wissenschaft für sich
Wie die meisten anderen Formen menschlichen Verhaltens war im 20. Jahrhundert auch das Finanzwesen einem grundlegenden Wandel unterworfen. Diese Veränderung war in etwa vergleichbar mit dem Aufkommen der Moderne in der Kunst. Es war eine Abkehr vom gesunden Menschenverstand und eine Hinwendung zur Selbstbezüglichkeit, Abstraktion und noch einigen anderen Ideen, die man nicht in wenigen Sätzen abhandeln kann. In der Lyrik kam diese Wende mit der Veröffentlichung von T. S. Eliots The Waste Land . In der klassischen Musik war es vielleicht die Premiere von Le sacre du printemps . Im Tanz, in der Architektur, in der Malerei – überall gab es vergleichbare Momente. (Eines meiner Lieblingsbeispiele findet sich im Jazz. Es ist der Moment, als Charlie Parker in »A Night in Tunisia« ein Saxophon-Solo spielte, das wie der verkörperte Einbruch der Moderne wirkte, genau dort, in jenem Augenblick. Man erzählt sich, dass die anderen Musiker, als Charlie zum ersten Mal mit diesem Solo loslegte, ihre Instrumente sinken ließen und ihn einfach nur anstarrten.) Im Finanzwesen kam dieser Moment 1973, mit der Veröffentlichung einer Abhandlung im Journal of Political Economy . Sie trug den Titel »The Pricing of Options and Corporate Liabilities« elbY(Die Preiskalkulation bei Optionen und Unternehmensverbindlichkeiten) und ihre Autoren hießen Fischer Black und Myron Scholes.
Derivate haben im Augenblick keinen besonders guten Ruf. Dennoch ist es wichtig zu erkennen, welche Rolle sie in der Geschichte des menschlichen Bemühens gespielt haben, Risiken zu verstehen, zu kontrollieren und damit Geld zu verdienen. Die Beschäftigung mit diesem Phänomen ist ein wahrhaft humanistisches Projekt. Sie ist der Versuch, mit der Anschauungaufzuräumen, das menschliche Schicksal sei unbegreiflich, und diese Anschauung durch eine rationale, quantitativ bestimmbare Erforschung des Zufalls zu ersetzen. 13 Es gab eine Zeit, da waren wir der Spielball des Schicksals, und die Zukunft ließ sich unmöglich vorausahnen. Dann jedoch betraten Philosophen wie Pierre de Fermat, Blaise Pascal und Christiaan Huygens die Bühne, und die Menschheit begann zu untersuchen, inwiefern sich die Zukunft vermessen und im Rahmen von Wahrscheinlichkeitstheorien einschätzen ließe. Ähnlich wie die experimentelle Wissenschaft ihre Wurzeln in der Alchemie hat, nahm die Wahrscheinlichkeitsforschung mit dem Glücksspiel ihren Anfang. Die ersten Untersuchungen auf dem Gebiet des Risikos sind der Neugier von Glücksspielern zu verdanken. Man begann, einen Weg zu suchen, wie man Zufall und Risiko halbwegs sicher handhaben konnte. Eine der wichtigsten Hilfestellungen bei diesem Unterfangen leistete genau jenes Finanzinstrument, das man als Derivat bezeichnet.
Derivate sind schon seit sehr langer Zeit Teil des Finanzmarkts. Ein ganz simples Beispiel für ein Derivat wäre ein Landwirt, der sich mit einem Abnehmer bereits einige Monate im Voraus auf einen Preis für seine Ernte geeinigt hat. Das Recht, die Ernte später zu diesem Preis zu kaufen, war ein Derivat, das seinerseits zum Verkauf gestellt werden konnte. Der Begriff stammt daher, dass Derivate ihren Wert von den ihnen zugrunde liegenden Waren ableiten, von Lateinisch »derivare« und Englisch »derivate«. Die einfachsten Formen heutiger Derivate sind Optionen und Futures (Terminkontrakte). Eine Option gibt Ihnen das Recht, aber nicht die Pflicht, zu einem festgelegten Termin etwas zu einem vorher vereinbarten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Hier ein Beispiel: Sie geben 500 Euro für eine Option aus, die Sie berechtigt, in einem Jahr einen Ferrari für 50 000 Euro zu kaufen.
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