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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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verstaatlichten die Regierungen Luxemburgs, Belgiens und der Niederlande die Fortis Bank, die in Belgien der größte privatwirtschaftliche Arbeitgeber überhaupt war. Diese Verstaatlichung kostete 1,3 Milliarden Euro. Am 29. September wurde die britische Bank Bradford and Bingley für 41,3 Milliarden Pfund verstaatlicht und ihr Zweigstellennetz an die spanische Bank Santander verkauft. In Deutschland half man am 5. Oktober der Hypo Real Estate, einer Bank für gewerbliche Immobilienkredite, mit einem Rettungspaket von 50 Milliarden Euro aus der Patsche. Am darauffolgenden Tag kollabierte das isländische Bankensystem. Während des Wochenendes vom 11. und 12. Oktober taumelte auch das britische Bankensystemgefährlich nahe am Rand eines Zusammenbruchs. Ein leitender Banker erzählte mir, damals sei der einzige Moment in seiner Karriere gewesen, in dem er tatsächlich furchtbare Angst hatte. Am gleichen Wochenende erhielt die RBS eine Notfinanzspritze der Regierung über 20 Milliarden Pfund – und das war nur die erste Etappe auf dem Weg zu ihrer Rettung.
    Seitdem hat sich die Lage ein wenig beruhigt und es gibt nur noch hin und wieder kleinere Rettungsaktionen, wie zum Beispiel bei der amerikanischen Autoindustrie oder bei der schottischen Bausparkasse Dunfermline Building Society. Dennoch bin ich sicher, dass genau in diesem Moment irgendwo auf der Welt in einer der großen Banken jemand seinen Kopf in den Händen vergraben hat, während er auf die Bilanzaufstellung seiner Bank schaut und sich mit genau diesem Problem konfrontiert sieht. Das gilt besonders für Europa, wo die Banken und Regierungen sich so lange wie möglich davor gedrückt haben, sich mit toxischen Aktiva und Bankeninsolvenz auseinanderzusetzen. Wenn man die globale Krise in einem einzigen Problem zusammenfassen wollte, dann wäre es dieses: dass niemand weiß, welche Bank überhaupt noch solvent ist. Weil Banken bei der Kreditschaffung und -vergabe so unentbehrlich sind, führt eine Bankenkrise unweigerlich in eine Kreditkrise. Das ist auch der Grund, warum die riesigen Summen, die von den Regierungen in den Bankensektor gepumpt werden, nicht das bewirken, was sie bewirken sollen, nämlich die Wiederaufnahme der Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher. Das liegt daran – und hier können wir uns einen Moment lang ein Gefühl gönnen, das uns äußerst selten überkommt, nämlich Mitleid für Banker –, dass die Banken zwei vollkommen unvereinbare Zielvorgaben erfüllen sollen. Das eine Ziel besteht darin, ihre Bilanzaufstellung zu sanieren und sich genügend Kapital zu verschaffen, damit sie nicht mehr Gefahr laufen, Bankrott zu gehen. Das zweite Ziel jedoch ist, weiterhin Kredite zu vergeben. Man fordert sie auf, gleichzeitig Geld zu sparen und es auszugeben. Das ist unmöglich und so ist es auch nicht verwunderlich,dass die Banken unter diesen Umständen jeden Cent horten, den sie in die Finger kriegen, und jedes nur irgend in Frage kommende Darlehen zurückfordern. Sie tun das, um so schnell wie möglich ihre Leverage Ratio zu senken und ihre Kapitalkraft zu erhöhen.
    Aber das hat für den Rest der Wirtschaft eine katastrophale, geradezu zerstörerische Wirkung. Das Ganze funktioniert so: Die Aktiva einer Bank verlieren an Wert. Die Bank hat also weniger Eigenkapital, denn ihre Verbindlichkeiten haben den gleiin,ben denchen Wert wie vorher, während ihre Vermögenswerte im Wert gesunken sind. Deshalb muss die Bank ihre Aktiva einschrumpfen und ihre Kredite kontrahieren, um solvent zu bleiben. Weil die Leverage Ratio der Bank aber so unglaublich hoch ist, muss sie eine riesige Summe von Krediten aus der Welt schaffen, um für einen relativ geringen Eigenkapitalschwund aufzukommen. Viele der oben genannten Banken haben, wie man sehr leicht erkennen kann, eine Leverage Ratio von über 30 zu 1. Das bedeutet, dass sie, sobald sie 100 Millionen Euro an Eigenkapital verlieren, gezwungen sind, ihre Aktiva zu vermindern und sich 3 Milliarden Euro an Krediten vom Hals zu schaffen, nur um ihre Leverage Ratio aufrechtzuerhalten. Wenn sie aber diese Ratio verkleinern wollen – was die meisten Banken tatsächlich anstreben und wozu sie auch ermutigt werden –, dann müssen sie ihre Vermögenswerte sogar noch schneller zusammenschrumpfen. Und das bedeutet, dass sie noch weniger Geld an Unternehmen und Einzelpersonen verleihen können. Das wiederum verschlechtert die wirtschaftliche Lage drastisch. Wie Charles Morris in seinem Buch The Trillion

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