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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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Nach Ablauf dieses Jahres steht der Ferrari für 60 000 Euro zum Verkauf – Ihre Option ist jetzt also 10 000 Euro wert, denn das ist der Betrag, den Sie verdienen, wenn Sie die Option einlösen,das Auto kaufen und es dann für seinen tatsächlichen Preis weiterverkaufen. Umgekehrt: Falls der Ferrari ein Jahr später für 40 000 Euro zum Verkauf stünde, hätte das Einlösen Ihrer Option eine Einbuße von 10 000 Euro zur Folge. Sie würden sie also einfach verfallen lassen, wobei Ihr einziger Verlust die 500 Euro Prämie wäre. Andererseits könnten Sie auch das Recht erworben haben, den Ferrari für 50 000 Euro zu verkaufen. Dann würden Sie natürlich auf die genau entgegengesetzte Entwicklung hoffen, nämlich, dass der Preis in der Zwischenzeit gesunken ist. In diesem Fall würden Sie das Auto für 40 000 Euro kaufen und es sofort 10 000 Euro teurer weiterverkaufen. Futures sind das Gleiche wie Optionen, mit dem einzigen Unterschied, dass man zu dem festgelegten Preis tatsächlich auch kaufen oder verkaufen muss: Bei Futures hat man sich unwiderruflich auf das Geschäft eingelassen. Sie sind also logischerweise wesentlich riskanter als Optionen.
    Optionen und Futures haben in der Geschichte des Finanzwesens große Bedeutung, und es ist kein Zufall, dass es Rohstoffmärkte waren, an denen diese Art von Derivaten weiterentwickelt wurde. Das gilt insbesondere für den Chicago Mercantile Exchange, der im Jahr 1898 als »Chicago Butter and Egg Boardr Ond Egg « ins Leben gerufen wurde. Jahrelang erfüllten Derivate in diesem Zusammenhang ihre Aufgabe als nützliche Finanzwerkzeuge. Sie waren unglaublich praktisch, aber in ihren Grundzügen eben auch nicht zu kompliziert. Und es gibt sie schon sehr lange: Spekulationen auf Tulpenderivate waren zum Teil für den holländischen »Tulpencrash« von 163 7 verantwortlich. Ihr Gebrauch ist schon seit eh und je weit verbreitet und in ihrer Geschichte finden sich ein paar interessante Anekdoten, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Konföderation während des amerikanischen Bürgerkriegs ihren Kampf gegen die Unionsstaaten mit einer derivativen Anleihe finanzierte, durch die man ausländische Währungen anlocken wollte.
    Sobald der Derivatemarkt an der Chicagoer Börse eine professionelle Ausrichtung bekam, wurde schnell klar, dass es aufdiesem Gebiet ein riesiges Potential für Finanzgeschäfte gab, die ihren Wert nicht von Eiern, Butter oder Weizen ableiteten, sondern von Aktien. Es existierte allerdings ein großes Hemmnis, das der Entwicklung dieses Marktes entgegenstand: Niemand war in der Lage zu berechnen, wie man für solche Derivate einen Preis festsetzen sollte. Die Faktoren Zeit, Risiko, Zinssatz und Preisschwankung waren derart eng und kompliziert miteinander verknüpft, dass alle Mathematiker daran scheiterten – bis zu dem Tag, als Fischer Black und Myron Scholes 1973 ihre Abhandlung veröffentlichten, einen Monat nachdem die Börse Chicago Board Options Exchange gegründet worden war und ihre Tore geöffnet hatte. Revolutionär an dieser Abhandlung war eine Gleichung, die es möglich machte, ausgehend von dem ihm zugrunde liegenden Vermögenswert den Preis eines Finanzderivats auszurechnen. Die Black-Scholes-Formel eröffnete völlig neue Möglichkeiten im Derivatehandel. Dies war ein ganz entscheidender Moment in der »Mathematisierung« der Märkte. Innerhalb weniger Monate benutzten die Händler Gleichungen und Formulierungen aus Black-Scholes (wie ihr Modell auch heute noch überall genannt wird), und das weltweite Geschäft mit Derivaten hob ab wie eine Rakete. Das Gesamthandelsvolumen mit derivativen Produkten weltweit geht heute in die Hunderte Billionen Dollar. Niemand weiß genau, wie viel Geld dabei im Spiel ist, aber der vermutete Betrag übersteigt den Wert der weltweiten Wirtschaftsleistung, die sich grob geschätzt auf 66 Billionen Dollar beläuft, um einen gewaltigen Faktor – möglicherweise um das Zehnfache. Dieses scheinbar unmögliche Phänomen erklärt sich dadurch, dass der zugrunde liegende Wert des Produkts und der fiktive, in den auf ihm beruhenden Derivaten verpackte Wert sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. Nehmen wir mal an, Sie wärenSchweinezüchter und wollten die Schweinebäuche des nächsten Jahres bereits im Voraus verkaufen, um sich auf diese Weise einen guten Preis zu sichern. Ein Händler kauft die Schweinebäuche für 100 000 Euro – und Ihre Rolle in der Geschichte der Schweinebäucheist damit

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