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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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Preisen in der Bilanz geführt hatte als Lehman, verloren die Investoren die Nerven und die Bonität des Unternehmens brach ein. Das hatte wiederum zur Folge, dass der Konzern mit zusätzlichen Sicherheiten bürgen musste, um seinen Risikoanteil abzudecken. Übertragen auf obiges Beispiel: Die Schneiders schienen plötzlich ein wesentlich höheres Risiko darzustellen, und die Nachbarn forderten sie deshalb auf, nun für jede 100 000 Euro eine Sicherheit von 20 000 und nicht wie bisher nur von 10 000 Euro zu hinterlegen. Zu einer solchen Forderung sind sie nämlich vertraglich befugt. Falls die Schneiders diese Summen nicht gleich zur Hand haben sollten, wären siegezwungen, ihrerseits Kredite aufzunehmen. Und wenn ihnen das nicht gelingt, dann sind sie geliefert.
    Genau das ist dem AIG-Konzern passiert. Als er gezwungen war, seine Sicherheiten zu erhöhen, war ihm das nicht möglich, weil die Kreditmärkte den Hahn zugedreht hatten. Für die Schneiders wäre das nun das Ende vom Lied – sie wären pleite. Aber weil die AIG »too big to fail« war, griff dieUS-Regierung ein und rettete das Unternehmen a Lenternehm 16. September mit einem Betrag von 85 Milliarden Dollar, wofür sie im Gegenzug 79,9 Prozent der Anteile übernahm. (Diese Rettungsaktion oder dieser Bailout – es gibt ihn in den unterschiedlichsten Varianten – nahm die Gestalt einer sogenannten Kreditfazilität an.
    Um noch einmal einen Vergleich aus der Privatwelt heranzuziehen: Die AIG hatte sozusagen Zugang zum Konto der Regierung.) Am 9. Oktober gewährte man dem Konzern einen weiteren Kredit über 37,8 Milliarden Dollar. Finden Sie, es reicht jetzt? Keineswegs. Am 10. November pumpte die US-Staatskasse weitere 40 Milliarden in das Unternehmen, indem sie neue, eigens zu diesem Zweck emittierte Aktien erwarb (eine weitere Variante des Bailouts. Irgendjemand sollte ein Kochbuch mit gesammelten Banker-Bailout-Rezepten schreiben). Und ist es jetzt endlich genug? Ich bitte Sie, seien Sie nicht albern. Am 1. März 2009 gab das Finanzamt dem Unternehmen weitere 30 Milliarden und strukturierte die Kreditbedingungen um, damit die Rückzahlung von Regierungskrediten weniger mühsam wurde. Am nächsten Tag gab das Unternehmen einen Quartalsverlust – nicht etwa Jahresverlust, nein, einen Quartalsverlust – von 62 Milliarden Dollar bekannt, das schlechteste Firmenergebnis seit Menschengedenken. Aber jetzt, so sollte man meinen, reicht es doch wirklich und endgültig, oder? Nicht unbedingt. Das US-Finanzministerium sagte im Zusammenhang mit der vierten Rettungsaktion: »Wenn man das Risiko bedenkt, das die AIG nach wie vor für das System darstellt, und die momentane Fragilität der Märkte miteinbezieht, dann ist der potentielleSchaden, der für die Wirtschaft und den Steuerzahler entstünde, falls die Regierung nicht eingreift, extrem hoch.« Um die AIG zu stabilisieren, bedürfe es »Zeit und möglicherweise weiterer Unterstützung durch die Regierung«. Genau das bedeutet »too big to fail«. Man könnte es auch in folgender Formel ausdrücken:
    AIG+CDS+CDO+TBTF = 173 Milliarden Dollar.
    In Großbritannien gab es nach dem Zusammenbruch der Royal Bank of Scotland einen sehr unterhaltsamen, aber vom Wesentlichen ablenkenden Streit um die Rente von Sir Fred Goodwin, der für seine Verdienste um das Bankwesen zum Ritter geschlagen worden war. 9 In den USA entbrannte eine ähnliche Diskussion wegen der Bonuszahlungen an die leitenden Angestellten der AIG, die den genannten Rettungsaktionen auf dem Fuße folgten. Die Boni beliefen sich auf 165 Millionen Dollar. Man muss kein PR-Experte sein, um zu erkennen, dass man für die Bekanntgabe dieser Zahlungen im März 2009, unmittelbar nach dem vierten Bailout, nicht gerade einen idealen Zeitpunkt gewählt hatte. Jeder, auf beiden Seiten der politischen Bühne Amerikas, angefangen bei Präsident Obama, schloss sich den stürmischen Empörungsbekundungen an. Als Antwort darauf blökten und meckerten die Banker nur, was niemanden überraschte.
    Ein republikanischer Kongressabgeordneter legte den AIG-Führungskräften nahe, dem »japanischen Beispiel« zu folgen und sich entweder zu entschuldigen oder Selbstmord zu begehen. (Noch authentischer wäre es doch sicherlich, wenn man beides täte, oder?) Ein Senator der Demokraten drohte, man werde die Boni mit 100 Prozent besteuern. Die New York Times druckte einen offenen Brief eines der leitenden Angestellten der AIG ab, den er an seinen Chef geschrieben hatte und in

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