Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Dies hier war ein ganz anderer Grad von Verlassenheit, von Ödnis und Flucht – es wirkte wie die Landschaft aus einem Science-Fiction-Film, als befände man sich mitten in I am Legend . Doch die desolate Atmosphäre ist nicht allein Ergebnis der gegenwärtigen Verhältnisse, vielmehr ist sie eng mit der Geschichte Detroits verknüpft. Und mit dieser Geschichte meine ich nicht nur all jene fürchterlich missglückten politischen Entscheidungen zu Städteplanung und Rassenproblematik, sondern vor allem den stetigen und unaufhaltsamen Niedergang, dem die Stadt seit einer Weile unterworfen ist. Früher einmal war Detroit eine blühende Stadt. Das sieht heute anders aus. Früher war dies ein Ort, an dem es sich gut leben ließ. Heute ist aus der Utopie eine Dystopie geworden. Man kann hier geradezu beispielhaft erkennen, was bei Städten alles schiefgehen kann. Selbst wenn eine Stadt auf Jahrzehnte des Wohlstands und der steigenden Produktivität zurückschaut, kann sie so wie Detroit vollkommen aus dem Gleis geraten und im Elend versinken. Es mag vielleicht abwegig klingen, aber ich fühlte mich vor allem an Rom erinnert, an jene sich ewig hinziehenden Jahrhunderte, die auf den Untergang der antiken Stadt folgten. Es muss ein seltsames Gefühl gewesen sein, solch außergewöhnliche Gebäude wie das Kolosseum oder auch einfach nur die allgemeine Infrastruktur der Häuser,Brücken und Aquädukte zu betrachten und sich darüber klarzuwerden, dass man hier vor den Ruinen einer architektonischen Leistung stand, zu der die Menschheit inzwischen nicht mehr imstande war. Detroit ist da ganz ähnlich. Und besonders gilt das für die Hochhäuser, die einmal von bürgerlichem Optimismus und hochgesteckten Zielen zeugen sollten.
Wahrscheinlich hat die Armut in Amerika deshalb eine so trostlose und demoralisierende Wirkung, weil es sich im Grunde genommen um ein sehr reiches Land handelt. Aber es hat auch damit zu tun, dass so viele Gegenden und Häuser, die heute von Armut betroffen sind, den Eindruck vermitteln, als könnte es eigentlich sehr schön sein, dort zu wohnen. Es gibt einen ganz bestimmten Stil niedrig gebauter Reihenhäuser, die man in vielen amerikanischen Städten findet und die in gewisser Weise wie die Idealform kostengünstigen städtischen Wohnungsbaus wirken. Sie scheinen direkt auf ihre Bewohner zugeschnitten und eigentlich prädestiniert dafür zu sein, Teil einer idealisierten, vielfältigen, komplexen und modernen Lebensweise zu werden; ganz so, als hätte man beim Bau dieser Häuserzüge von vornherein die Ideen der Stadttheoretikerin Jane Jacobs zu Nachbarschaftsmustern und urbanem Leben umgesetzt. Aber genau das ist auch der Grund, warum eine solche Straße so furchtbar aussieht, wenn es mit ihr bergab geht. Weil die Häuser nach gleichem Muster gebaut sind, fallen kleine Unterschiede in Instandhaltung und Pflege umso mehr auf. Und große Unterschiede haben einen geradezu himmelschreienden Effekt. Wenn die Veranda eines Hauses in sich zusammenfällt oder seine Fenster mit Brettern vernageltwurden, zieht dies auch die umliegenden Häuser in Mitleidenschaft. Und das ist nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern eegeiin nachgewiesenes Muster in der soziologischen und städtebaulichen Entwicklung. Die »broken windows« (zerbrochenen Fenster), wie man solche Häuser gemeinhin nennt, haben einen negativen Einfluss auf ihre Umgebung. Sobald ein Haus unbewohnt ist und man dort mit Leichtigkeit einbrechen kann, wird es zu einem wahren Magneten für Rowdys, Crack-Abhängige,Feuerwanzen und was es sonst noch so alles gibt. Manchmal werden Strom und Wasser abgestellt, manchmal auch nur eines von beiden. Oft genug ist das eine Einladung zur mutwilligen Zerstörung und Verwüstung: Es brechen irgendwelche Halbstarke ein, nur um fröhlich den Wasserhahn aufzudrehen und sich dann aus dem Staub zu machen.
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Ich bin damals nach Baltimore gereist, weil diese Stadt Schauplatz eines ganz einzigartigen Kunstwerks geworden ist. Es handelt sich um das meines Wissens einzige Werk, das versucht, über einen längeren Zeitraum das Leben inmitten eines solchen städtischen Verfalls zu beschreiben: David Simons Serie The Wire beim Sender HBO. Wenn man, wie ich, über die Immobilienkrise schreiben wollte, war die Wahl des Schauplatzes eigentlich beliebig: Ganz Amerika war betroffen. Überall hatte sich der Boom in einen Niedergang verwandelt und die Zwangsversteigerungen erreichten pandemische Ausmaße. (Der Unterschied
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