Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
ihnen also einen Umfang von 1 000 000 Euro im CDS-Geschäft ermöglichen. Das ist in der Tat sehr attraktiv. Wie durch ein Wunder machen die Credit Default Swaps es möglich, den Betrag von 100 000 Euro zehn Mal auszuleihen und die CDSs dann an zehn weitere Personen mit 100 000 Euro zu verkaufen. Die CDSs haben Ihr Kapital mit geradezu verblüffender Effizienz arbeiten lassen.
Diese neuen Finanzinstrumente waren eine überaus raffinierte Angelegenheit, aber sie hatten eine bedauerlichen Nebeneffekt: Sie machten das Bankwesen kaputt. Und das taten sie deshalb, weil das Bankgeschäft im Grunde genommen sehr simpel ist oder es zumindest sein sollte. Die Kunden deponieren ihr Geld auf der Bank, bekommen dafür Zinsen, die Bank leiht das Geld anderen Leuten und berechnet dafür höhere Zinsen. Das ist weder glamourös noch spannend, aber das Bankgeschäft sollte auch keine Ähnlichkeit mit Basejumping oder Hiphop haben. Stattdessen ist es schlicht und einfach eine sichere Methode, für immer und ewig Geld zu verdienen (und, was auch nicht unwichtig ist, Kredite für die Wirtschaft zu generieren). Das Ganze funktioniert so lange, wie eine überaus wichtige Regel eingehalten wird: Die Bank muss darauf achten, wem sie Geld leiht. Die Qualitätder Darlehen ist von entscheidender Bedeutung, denn diese Darlehen sind genau die Vermögenswerte, mit denen die Bank Geld verdient. Und das ist durchaus keine nebensächliche oder beiläufige Frage, es ist das Herzstück des Bankgeschäfts. Das Problem mit dem Zusammenschnüren von Kreditpaketen und ihrer »Securitization«, also der Verbriefung von Verbindlichkeiten, war Folgendes: Dieser Prozess verstieß gegen das grundlegendePrinzipdas>Pr, dass jede Bank jeden Kredit individuell einschätzen und kontrollieren muss. Durch die neuen Finanzinstrumente wurde das unmöglich gemacht. Die mathematischen Prinzipien der Bewertungsmodelle – fürchterlich komplizierte Gleichungen, mit denen wahrscheinliche Entwicklungen und Zusammenhänge eingeschätzt werden sollten und die von den Mathematikgenies des Unternehmens in bester Verrückter-Professor-Manier zusammengebraut worden waren – übernahmen die Aufgabe, das statistische Risiko zu bewerten. Die Vorstellung, man könne als Bankangestellter dem Kreditnehmer noch persönlich auf den Zahn fühlen und so versuchen, herauszufinden, ob er vertrauenswürdig ist, schien plötzlich lächerlich antiquiert. Und was die Risiken anging – nun, um es mit den Worten von Lawrence Summers zu sagen, als dieser noch stellvertretender Finanzminister der USA war: »Bei den Parteien, die an einem solchen Vertrag beteiligt sind, handelt es sich größtenteils um äußerst erfahrene Finanzinstitute, die zweifellos sehr gut in der Lage sind, sich vor Betrug und etwaigen Insolvenzen der Gegenparteien zu schützen.« Das war, wie sich herausstellen sollte, kompletter Unsinn. Am Ende war es der Steuerzahler, der die Rechnung für die Insolvenzen der Gegenparteien zu tragen hatte. Und die dabei anfallenden Beträge waren und sind riesig.
Wie es der Zufall wollte, war es die Versicherunggegen genau solche Insolvenzen, die für den Zusammenbruch von AIG verantwortlich war. Die AIG (American International Group) ist ein Versicherungskonzern von gigantischen Ausmaßen, der zu seinen besten Zeiten 200 Milliarden Dollar wert war und somit definitiv in die Kategorie des »too big to fail« einzuordnen war. 8 AIG füllte im Prinzip die Rolle aus, diein unserem Beispiel oben die Schneiders spielten. Der Konzern garantierte alle Versicherungen und war der weltweit größte Akteur auf dem CDS-Markt. Fans von Akronymen innerhalb der Finanzwelt werden es vielleicht unterhaltsam finden, dass die AIG durch CDSs und CDOs zu Fall gebracht wurde. Will sagen, der Konzern handelte mit Credit Default Swaps, die auf Collateralized Debt Obligations (verbrieften Kreditanleihen) beruhten, jenen Zusammenschlüssen von Subprime-Hypotheken, deren dramatischer Wertverfall im Jahr 2008 die unmittelbare Ursache für die Finanzkrise war. Als die Investmentbank Lehman Brothers im September desselben Jahres zusammenbrach, weil sie durch eine viel zu große Anzahl wertloser Aktiva exponiert war, gab es ein allgemeines panisches Gedränge bei dem Versuch herauszufinden, wer sich sonst noch in einer ähnlichen Lage befand. Als sich herausstellte, dass dies beim AIG-Konzern der Fall war und dass man dort – was noch viel schlimmer war – diese wertlosen Vermögenswerte zu viel höheren
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