Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Idealfall in irgendeiner Steueroase, und gewähren dieser Firma einen Kredit, damit sie Ihnen das Darlehen abkaufen kann. Sie leihen ihr eine virtuelle Summe von 100 000 Euro, die Firma kauft Ihnen das Darlehen der Müllers ab und stellt Ihnen dann ihrerseits einen Kredit über 100 000 Euro aus, wodurch Sie jetzt wieder die nötigen Mittel zur Verfügung haben. (In der Praxis würde das Privathaushaltsbeispiel spätestens jetzt aufhören zu funktionieren, denn Sie können sich nicht selbst Geld leihen und mit dieser Art Methode einfach einen Kredit aus dem Boden stampfen. Aber große Finanzinstitute sind sehr wohl in der Lage dazu und tun es auch.) Jetzt verkauft Ihre Briefkastenfirma, nennen wir sie die Dachgeschoss-GmbH, das Zahlungsausfallsrisiko (Default Risk) des Müller-Darlehens an die Schneiders: ein klassischer Credit Default Swap. Und wenn dann eine weitere Nachbarsfamilie kommt und Sie um einen Kredit von 100 000 Euro bittet, tun Sie das Gleiche noch einmal, und dann gleich nochmal, sagen wir, insgesamt zehn Mal. Das Geld fließt in Strömen auf Ihr Konto und alle haben etwas davon: Die Nachbarn bekommen das Geld für ihren Dachgeschossausbau, Sie bekommen sämtliche Rückzahlungen, die an die Briefkastenfirma überwiesen werden, die Schneiders bekommen das Geld für die Versicherungsgebühren und das Allerschönste ist, dass es für Sie bei der ganzen Sache keinerlei Risiko gibt, denn das haben Sie ja mit einer Versicherung aus der Welt geschafft. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ob Ihre Nachbarn tatsächlich in der Lage sein werden, Ihnen das Geld zurückzuzahlen. Denn wenn sie es nicht können, müssen ja die Schneiders einspringen.
Von einem finanztechnischen Standpunkt aus gesehen ist diese Idee so wunderbar, dass man ihre Vorteile gar nicht alle aufzählen kann. Die neuen CDS-Instrumente (CDS für Credit Default Swap) sind eine herrlich effiziente Methode, um Risikenaufzuteilen und dadurch zu minimieren. Zumindest sind sie es, wenn man sie so einsetzt, wie es von ihren ursprünglichen Erfindern gedacht war. Am Finanzmarkt stehen Zusammenbrüche und Implosionen oft sehr eng mit einer zu hohenf Iner zu Konzentration von Risiken in Verbindung: etwa, wenn man eine zu hohe Wette an einem einzigen Ort plaziert. Zu der Zeit, als man den CDS erfand, war in den USA die letzte große Bankenmisere die Savings-and-Loan-Krise zu Beginn der achtziger Jahre gewesen. Damals hatte eine zu hohe Konzentration von Risiken beim US-Sparkassenverband eine wichtige Rolle gespielt. Das war auch einer der Gründe, warum die Finanzaufsicht den CDS-Papieren so wohlwollend gegenüberstand. Man glaubte, mit ihnen sei ein nützliches Instrument geschaffen worden, durch das man Risiken verteilen und somit minimieren konnte. Niemand ahnte, dass sie stattdessen im gesamten Finanzsystem ein vollkommen unkontrollierbares und nahezu unsichtbares Ausmaß an Risiken verstreuen würden. Ein zweiter Vorteil war, dass diese neuen Instrumente eine völlig neue Methode eröffneten, um sich am Geschäftsbetrieb anderer Unternehmen zu beteiligen. Wie Sie sich vielleicht erinnern, gibt es zwei grundlegende Arten, um in ein Unternehmen zu investieren, und daher auch zwei Methoden für das Unternehmen, Geld aufzunehmen: Aktien, mit denen man einen Teil der Firma kauft, und Anleihen, mit denen man der Firma Geld leiht. Das Geniale an den CDS-Papieren war, dass sie einen dritten Weg ermöglichten. Man erhielt regelmäßige Zahlungen (ähnlich wie bei einer Anleihe oder einem Bond) und setzte sich der Gefahr (Exposure) aus, dass die Gegenpartei zahlungsunfähig wurde (ebenfalls wie bei einer Anleihe), aber das Ganze war insofern attraktiver, als das Kapital bei diesem Prozess nicht unwiderruflich gebunden war. Man musste das Geld erst dann wirklich aufbringen, wenn die Gegenpartei nicht mehr zahlen konnte. Wenn man dann ein bisschen finanziellen Einfallsreichtum besaß, konnte man sein Geld immer und immer wieder einsetzen, denn man musste für den Fall einer Zahlungsunfähigkeit ja nur einen Teildavon als Sicherheit hinterlegen. Um noch einmal zu dem obigen Beispiel zurückzukehren, hieße das Folgendes: Nehmen wir an, die Schneiders decken einen Risikoumfang von 100 000 Euro ab. Dann würden die Regeln ihnen vorschreiben, dass sie nur 10 000 Euro wirklich verfügbar haben müssen. Hätten sie tatsächlich einen Betrag von 100 000 Euro zur Hand, dann könnten sie das Zehnfache dieser Risikosumme garantieren. Ihre 100 000 Euro würden
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