Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
(Huckepack-Kredite), was bedeutete, dass auf ein und dieselbe Immobilie ein doppelter Kredit aufgenommen wurde, oder »liar loans« (Lügnerkredite), bei denen die Antragsteller ihr Gehalt einfach selbst angeben konnten, oder auch »no doc loans« (Krediteohne Dokumente), für die der Kreditnehmer keinerlei schriftliche Nachweise einzureichen brauchte. Hey, was in aller Welt konnte denn schon schiefgehen? Und das waren nur die üblichen, rechtmäßigen Kreditvergabe-Methoden und nicht die Fälle, bei denen es um systematischen, organisierten Betrug ging, mit falschen Identitäten und Mehrfachkreditanträgen. In der Branche drehte sich alles einzig und allein um die Kreditvergabe, alles andere war vollkommen egal. Man stellte keine Fragen. Die Kredite erwirtschafteten Geld für jedermann, und darüber hinaus auch noch einen riesigen Haufen an Subprime-Schulden, mit denen die Banken so viele CDOs erzeugen konnten, wie sie wollten. Und was die Frage angeht, wie man es schaffte, aus den Hypothekenzahlungen dieser Leute wie durch ein Wunder Investitionen mit einem AAA-Rating zu schaffen, nun …
6. Kapitel
Wenn es zum Himmel stinkt
Die Kreditkrise erwuchs aus einem Klima, einem Problem und einem Fehler. Und sie erwuchs aus dem Versagen mehrerer Instanzen: dem der Aufsichtsbeamten, der Politiker und der Zentralbanker, deren Pflicht es gewesen wäre, nach Anzeichen für wirtschaftliche Gefahren Ausschau zu halten. Einiges hiervon hing damit zusammen, dass man Warnsignale ignorierte, in Gestalt von Daten, die einfach zu schön waren, als dass sie hätten wahr sein können, anderes mit Konjunkturüberhitzung und manches mit Dingen, die in irgendeiner Weise zum Himmel stanken.
Alle Krisen, Zusammenbrüche und Skandale des Finanzmarkts werden von üblen Gerüchen begleitet. Hier ein Beispiel: Im Jahr 2007 reiste ich in die Stadt Galway, um am dortigen Cúirt Festival teilzunehmen. Das letzte Mal war ich 1999 dort gewesen, für das Jahrgedächtnis meiner Mutter. Damals ereignete sich gerade eine Sonnenfinsternis, und deshalb gab man den Gästen bei ihrer Ankunft als Erstes eine Reihe von Anweisungen, wie zum Beispiel, auf keinen Fall in die Sonne zu schauen. Acht Jahre später, dasselbe Hotel: Diesmal hatte ich kaum die Türschwelle überschritten, als man mich anwies, auf keinen Fall Leitungswasser zu trinken. Das Trinkwasser in Galway war damals durch Kryptosporidien verseucht – einzellige Parasiten, die Gastroenteritis verursachen. Zu deren Symptomen gehören, wie mir mein medizinisches Wörterbuch verrät, unter anderem »übermäßiger, übelriechender, wässriger Durchfall und Erbrechen (besonders bei Kindern)« und das Ganze dauert zwischen ein und drei Wochen. Es gibt keinerlei Behandlung dagegen. Toll. Damals amüsierte mich die Parallelität der Ereignisse und ich fragte mich, was wohl geschehen würde, wenn ich wieder einmal in diese Stadt reiste: Schauen Sie aufkeinen Fall in den Himmel, trinken Sie auf keinen Fall das Wasser – was kommt als Nächstes? Atmen Sie auf keinen Fall die Luft? Eine Heuschreckenplage? Dabei fiel mir gar nicht auf, was an dieser Kryptosporidien-Epidemie so seltsam war. Es ist grotesk, dass ein Ort wie Galway, der inmitten ländlicher Gebiete liegt und mehr als reichlich mit Regenwasser versorgt wird, kein sauberes Trinkwasser mehr haben sollte. Der Grund lag darin, dass die gesamte Region unglaublich schnell gewachsen war, ohne dass sich irgendjemand Gedanken um eine nachhaltige Versorgungsplanung gemacht hätte. Deshalb brach auch die Infrastruktur zusammen, in diesem Fall ganz konkret die Infrastruktur der Wasseraufbereitung.
Spätestens jetzt hätten bei allen die Alarmglocken läuten und vor der drohenden Krise warnen sollen; einer Krise, die im Begriff war, den »Keltischen Tiger« zu verschlingen, und das alles wegen der Fahrlässigkeit und Misswirtschaft, mit der die Politiker den Ertrag der guten Jahre verschleudert hatten. Für so manche Leute, die wie ich Irland kennen und lieben, war es immer schon ein schlechtes Omen, dass man das dortige Wirtschaftswunder nach einem Tier benannt hatte, das eigentlich gar nicht existiert.
Nur wenige Monate später geriet Irland in die schlimmste Rezession, die je einem Industriestaat seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 widerfahren war. Die Zeitschrift The Economist scherzte im Februar 2008 (mit einem durchaus ernsten Unterton), Irland sei in Gefahr, zum »Reykjavík-am-Liffy« zu werden, und zitierte einen dort kursierenden Witz:
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