Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
ausgeweitet, die Großbritannien zu einem Wirtschaftssystem des Laissezfaire und des freien Marktes umformte und mit dem ganzen einvernehmlichen Wir-stecken-da-alle-gemeinsam-drin-Modell aufräumte, das beide politischen Lager seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vertreten hatten. Mrs Thatcher wirkte auf viele Beobachter so, als sei in ihr der Manchesterliberalismus des 19. Jahrhunderts in seiner reinsten Form wiederauferstanden, denn sie vertrat begeistert folgende Maximen: den freien Handel, die klare Unterscheidung zwischen denen, die den Wohlstand verdienten, und den Armen, für die das nicht galt, und die Überzeugung, dass nun nicht mehr der Klassenunterschied, sondern das Geld der allesbestimmende Faktor in der britischen Gesellschaftsordnung sei.
Die Themen, die Mrs Thatcher verkörperte – freier Handel, Deregulierung und die Macht der Finanzwelt –, waren in der Geschichte Großbritanniens nichts Neues. Aber neu war, dass die finanziellen Interessen nicht einfach nur wichtig waren, sondern absoluten Vorrang hatten. In der britischen Wirtschaftsgeschichte dreht sich viel um den Kampf zwischen finanziellen und industriellen Interessen – zwischen der City und den Unternehmern aus den Midlands –, und ein Großteil dieser Geschichte hat damit zu tun, dass sich die Fabrikbesitzer übervorteilt und missverstanden fühlten. Nach Ansicht der Leute, die etwas Handfestes produzierten, war die City allein darauf aus, viel zu schnell und viel zu verantwortungslos Geld zu verdienen, ohne jedoch Verantwortung zu übernehmen. Sie verlangte als Gegenleistung für ihr Kapital einen viel zu großen Anteil am Geschäft, war ungeduldig, wenn ihr das Wachstum zu langsam vorkam, verstand die Bedeutung von Investitionen und persönlichen Beziehungen nicht und ihreinziger Zweck war es, ähnlich wie in einem Kasino in der kürzest möglichen Zeit einen spektakulären Gewinn einzufahren. Die City wiederum empfand die Sache so, dass die Fabrikbesitzer immer nur jammerten; dass sie ihre Arbeiter nicht im Griff hatten und zuließen, von den Gewerkschaften in Geiselhaft genommen zu werden; dass sie ähnlich wie die Bauern dazu neigten, sich bei jeder Wetterlage über die Handelsbedingungen zu beschweren (»Das Pfund steht zu hoch! Niemand kann sich unsere Erzeugnisse leisten!«; »Das Pfund steht zu niedrig! Wir können uns die Rohstoffe nicht leisten!«); und dass sie einfach zu stumpfsinnig waren, um zu verstehen, dass es doch das eigentliche Ziel eines jeden Geschäfts sein sollte, Geld zu verdienen, und dass alles andere nur ein Mittel zum Zweck war.
Das war der wichtigste kulturelle Unterschied. Zwischen Industrie und Business besteht eine abgrundtiefe anthropologische Kluft. Ein industrielles oder herstellendes Unternehmen betrachtet es als seinen Hauptzweck, ein Pr Czwe eine abodukt hervorzubringen, und versteht das Geldverdienen eigentlich nur als eine Art Begleiterscheinung. Die Autoindustrie stellt Autos her, die Fernsehindustrie Fernsehprogramme, die Verlagsindustrie Bücher und mit ein wenig Glück verdienen sie auch alle Geld damit, aber zum Großteil verstehen die Menschen, die für solche Unternehmen arbeiten, das Geld nicht als ultimativen Zweck und Rechtfertigung für das, was sie tun. Das Geld ist eine Begleiterscheinung des Unternehmertums und nicht etwa seine ausschlaggebende Daseinsberechtigung. Wer geht schon morgens mit dem Gedanken zur Arbeit, das Wichtigste, was er an diesem Tag zu tun hat, sei die Steigerung der Aktienkurse? Die ideologischen Vertreter des Kapitals scheinen manchmal zu glauben, dass wir genau das tun sollten – was wieder einmal beweist, wie realitätsfremd sie sind. Die meisten menschlichen Unternehmen, und das gilt besonders für solche, die einen erstrebenswerten und bedeutungsvollen Zweck verfolgen, sind in diesem Sinne herstellende Betriebe. Ihr Fokus liegt hauptsächlich auf dem, was sie tun. Auch dasGesundheits- und das Bildungswesen sind aus dieser anthropologischen Perspektive herstellende Unternehmen.
Oder zumindest sind sie das aus der Sicht der Menschen, die für sie arbeiten. Aber viele dieser Unternehmen befinden sich immer häufiger im Besitz von Leuten, die sie nicht als herstellende Betriebe, sondern als Business begreifen, und der Zweck eines Business ist ganz schlicht und ergreifend das Geldverdienen. Ein Businessbesitzer hat eine ganz andere Einstellung als Leute, die in einem herstellenden Unternehmen arbeiten, und in seinen Augen sind solche Betriebe oft genug
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