Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
an dem der Glaube an den freien Markt zu einer Art säkularen Religion wurde. Die Dogmen dieser Religion sind nur zu bekannt und sie haben in dieser Geschichte eine wichtige Rolle gespielt: das Primat des Laissez-faire-Kapitalismus, die übernatürliche Fähigkeit der freien Märkte zur Selbstregulierung, die Überlegenheit des freien Marktes gegenüber allen anderen Formen menschlicher Gesellschaftsorganisation. Das sind durchaus umstrittene, anfechtbare Standpunkte, aber in der angelsächsischen Welt haben wir irgendwann vergessen, sie auch tatsächlich noch zu hinterfragen.
Das ist die Lehre, die wir aus dieser Krise ziehen und auf immer und ewig beherzigen sollten: Die Regeln für die Funktionsweise der Märkte wurden nicht von göttlicher Hand in Steintafeln gemeißelt, sondern von Menschen aufgestellt, und man muss sie immer wieder überarbeiten, überwachen und auf aktive und kreative Weise durchsetzen. Wir können es uns nicht leisten, das je wieder zu vergessen: Menschliche Wesen haben die Märkte erschaffen. Eine allgemeine Kenntnisnahmedieser Tatsache, vom ökonomischen Berufsstand dirigiert und von den Politikern ins Programm genommen, wäre ein so bedeutender C behme
Zu meinem Freundeskreis zähle ich auch ein paar Leute, die in der City arbeiten. Wir verstehen uns zumeist bestens, so wie sich Freunde eben verstehen, aber ab und zu gibt es einen Moment in unseren Gesprächen, an dem es mir so vorkommt, als liefe ich gegen eine Wand. Das hat meist mit grundsätzlichen Prämissen zur Vorherrschaft des Geldes zu tun und mit dem Abstreiten der Tatsache, dass es auch andere wertvolle Lebensentwürfe geben könnte. Man kann einen Blick auf diese Art von Weltsicht erhaschen, wenn man den Economist liest. Das ist eine ganz hervorragende Zeitung (man zieht dort »Zeitung« dem Begriff »Zeitschrift« vor) und besonders gut ist sie im Recherchieren von Fakten aus erster Hand. Die ersten 80 Prozent fast aller Artikel sind gespickt mit vollkommen neuen Erkenntnissen. Aber jeder einzelne Beitrag zu jedem einzelnen Thema kommt immer zu demselben Schluss und die Lösung für jedes Problem ist immer die Gleiche: mehr Liberalisierung, mehr Wettbewerb, mehr freie Märkte. Ganz gleich wie nuanciert und originär die Details im Hauptteil des Beitrags dargelegt sind, die Antwort ist immer die Gleiche. Man bekommt ganz den Eindruck, als bestünde der Economist aus lauter algebraischen Formeln, deren Lösung jedes Mal »x« lautet.
Tom Wolfe hat die Personen an der Spitze dieses Systems »Meister des Universums« genannt. Das war eigentlich zutiefst und beißend ironisch gemeint – aber den Meistern des Universums scheint das nicht aufgefallen zu sein. Selbst heute noch nicht. Und dafür gibt es einen Grund. Für die meisten erwachsenen Menschen ist die Erfahrung, recht behalten zu haben, für gewöhnlich sehr komplex und sie ist auch mit sehr gemischten Gefühlen verbunden. So könnten Sie zum Beispiel vorhergesagt haben, dass sich Ihr Schwager als Taugenichtsoder der 43. Präsident als der schlimmste in der Geschichte der Vereinigten Staaten herausstellen wird, und die nachfolgenden Ereignisse können Sie dann für den unwiderlegbaren Beweis halten, dass Sie recht hatten – aber dieses Gefühl macht Sie nicht unbedingt glücklich. Es ändert nichts am Lauf der Welt, die da draußen außerhalb Ihrer Gedanken liegt. Sie hatten recht. Gratuliere. Na und?
Zu den speziellen Begleiterscheinungen der Finanzwelt gehört, dass sie ihren Mitgliedern immer wieder großzügig Gelegenheit bietet, recht zu behalten. Bei jeder Transaktion an den Märkten gibt es einen Käufer und einen Verkäufer und in den meisten Fällen hat einer von ihnen recht und der andere nicht, denn entweder steigt der Preis oder er sinkt. Das kumulative Gewicht dieses Recht- oder Nicht-Rechthabens ist eine der Ursachen dafür, dass sich die Finanzmenschen psychisch von ihrem Umfeld unterscheiden. Ob wir nun Künstler, Sportler, Chirurgen oder Klempner sind – wir alle haben geheime Zweifel, innere Vorbehalte uns selbst gegenüber. Aber wenn man mit Geld arbeitet und Geld verdient, dann kann man in einem wahrhaft unmenschlichen Maß immer wieder recht behalten.
Darum haben Menschen, die in der Welt des Geldes erfolgreich waren, auch oft eine so hohe Meinung von sich selbst. Und darum sehen sie sich selbst auch als wahre Muster an Rationalität, während sie anderen Menschen eher ein wenig verrückt vorkommen. Außenseiter erleben diese Mentalität nur
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