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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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ähnelte, die während des Angriffs der Japaner im Zweiten Weltkrieg mit ihren Kanonen in die falsche Richtung zielte.
    Dieses Versagen der Wirtschaftswissenschaftler trug dazu bei, dass die Krise in Großbritannien schlimmer wurde, als sie eigentlich hätte sein müssen. Die Bank of England und die FSA (»Financial Services Authority«, Aufsichtsbehörde für Finanzdienstleistungen) reagierten nur träge und schwerfällig, wo sie hart hätten durchgreifen müssen, sowohl zu Beginn der Krise, als Northern Rock kollabierte, als auch in den Monaten danach bis zu den nächsten Bankenkrisen im Jahr 2008. Wo blieben die Forderungen nach einer Erhöhung der Kapitalreserven, nach einer Offenlegung riskanter Vermögenswerte und nach Vorkehrungen gegen den Sturm, der sich ganz unverkennbar am Horizont zusammenbraute? Und selbst wenn man nicht damit rechnete, dass ein Sturm tatsächlich zu erwarten war, warum trafman kaum Vorbereitungen für den Fall, dass er eben doch hereinbrach? In den USA wurde das zum Teil durch die dumpfe Laissez-faire-Ideologie der Bush-Regierung und den Buchstabensuppenwust der Aufsichtsbehörden erklärt. Aber in Großbritannien haben wir eine solche Entschuldigung nicht. Im Vergleich zum US-amerikanischen Beispiel ist unser Regulierungssystem ein Muster an Klarheit: Die Bank of England ist dafür zuständig, Risiken im System aufzuspüren, während die FSA sich um die Ebene der Unternehmen kümmert. Aber ein Risiko, das in bestimmten Unternehmen auftauchte und sich dann auf den ganzen Sektor ausdehnte, schaffte es irgendwie, durch die Risse im Kontrollsystem zu schlüpfen, das eigentlich gar keine Risse haben durfte.
    Obwohl die Voraussetzungen in Großbritannien also besser waren, entwickelten sich die Dinge hier genauso schlimm, wenn nicht gar noch schlimmer. Das Einzige, was bei uns nicht vorkam, war ein so krasser Betrug, wie Madoff ihn abzog – zumindest bis jetzt noch nicht. An der Wunschliste der US-amerikanischen Finanzindustrie, wie sie Simon Johnsonin seinem oben zitierten Artikel aufführt, fällt jedoch auf, dass man sie – wenn man »Securities and Exchange Commission« gegen »Financial Services Authority« austauscht – Wort für Wort auf das britische Beispiel übertragen kann. Die Folgen für unsere Wirtschaft reichen sehr viel weiter als in den USA, denn Finanzdienstleistungen nehmen bei uns einen im Verhältnis viel größeren Raum darin ein. Niemand hatte geplant, dass die Dinge so verlaufen; ich habe selbst gehört, wie ein hochrangiges Regierungsmitglied das aussprach. Tatsache ist aber, dass der Finanzsektor, nachdem Mrs Thatcher an die Macht gekommen war, über drei Jahrzehnte expandierte und in dieser Zeit von der Regierung alles bekam, was er nur wollte. Die Abschaffung der Devisenkontrolle 1979 und der wachsende internationale Kapitalfluss, in Kombination mit der Abschaffung von Handelseinschränkungen, die im Big Bang von 1986 kulminierte – das alles hat zu der immer stärker werdenden Dominanz der City im Wirtschaftsleben Großbritanniens geführt. Und der Big Bang löste seinerseits die »Wimbledonisierung« der City aus – eine Umschreibung des Phänomens, dass die meisten Spieler auf dem Finanzmarkt aus dem Ausland stammten. Der Big Bang wiederum bestand aus einer Reihe von Regeländerungen, die letztendlich alle auf eine Callm Finanzmas hinausliefen: nämlich die größte Deregulierung, die der Finanzsektor je gesehen hat.
    Weil die Deregulierung zu den Hauptschuldigen der heutigen Krise zählt, könnte man versucht sein zu glauben, dass es sich bei ihr um eine von Natur aus schlechte Sache handelt. Aber wenn man das denkt, hat man ein sehr kurzes Gedächtnis. Ich bin im Ausland aufgewachsen und kann mich noch sehr genau erinnern, wie ungemein lästig Währungsbeschränkungen sein konnten. Zu dem Zeitpunkt, als Mrs Thatcher an die Macht kam, war es nicht erlaubt, bei einer Reise mehr als 500 Pfund aus dem Land auszuführen – diese Beschränkung kommt einem heute genauso antiquiert vor wie ein Korsett aus Walknochen. Die City of London war früher ein Klub, der nicht besonders viele Sympathien genoss; er bestand ausschließlichaus weißen Männern, deren gesellschaftliche Ausrichtung nicht einfach nur konservativ war, sondern ausgesprochen reaktionär. Der Big Bang veränderte sowohl die clubähnliche Atmosphäre der City als auch den Einfluss, den sie auf Großbritanniens Gesellschaft nahm. Das globale Finanzwesen hatte sich nun zu einer radikalen Kraft

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