Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Regulierungen aufzuzwingen – mit anderen Worten, man wollte dort die eigene Rechtsetzungskompetenz von den Tochtergesellschaften, die an den europäischen Börsen Handel trieben, auch auf die Banken ausdehnen, denen diese Gesellschaften gehörten. Die Kommissionerklärte sich jedoch bereit, darauf zu verzichten, wenn stattdessen die SEC die Rechtsetzungskompetenz für die Mutterunternehmen übernahm – und zwar zusätzlich zu den an der Börs C anesse handelnden Brokerage-Abteilungen, die ihr ohnehin schon unterstanden. Die SEC stimmte zu, und die Banken ebenfalls, unter der Bedingung, dass man die Regeln zur Kapitalreserve lockerte. Im Gegenzug gewährte man der SEC Zugang zu den Geschäftsbüchern, damit sie die Risiken der Unternehmen überwachen und bewerten konnte. Sie, mein geschätzter Leser, werden inzwischen mühelos erraten können, was als Nächstes geschah. Die Banken bekamen ihre gelockerten Kapitalreserve-Vorschriften und die SEC tat – gar nichts. Sie ging bei ihren Nachforschungen äußerst zögerlich und behutsam vor, und als das siebenköpfige Ermittlerteam tatsächlich potentielle Probleme fand – die, wie man sich denken kann, hauptsächlich mit Risiken zu tun hatten –, wurden ihre Bedenken von den leitenden Beamten ignoriert. In den 18 Monaten, die dem Oktober 2008 vorausgingen, hatte es die SEC nicht geschafft, auch nur eine einzige Ermittlung zum Abschluss zu bringen. 46 Mit anderen Worten: Die Banken bekamen die Regeländerungen, die sie brauchten, um gigantische Risiken einzugehen, und im Gegenzug bekam die SEC die Macht, sie zu überwachen, ohne diese aber jemals auszuüben.
Das war das vorherrschende Regime der Instanzen, die die Banken hätten regulieren sollen. Ähnlich wie unter Präsident Bush die »Environmental Protection Agency« (Umweltschutzbehörde) und die »Consumer Product Safety Agency« (Behörde zur Sicherheit von Gebrauchsgütern) im Endeffekt die Interessen derer vertraten, die sie hätten regulieren sollen, verhielt es sich hier auch mit der SEC. Oft genug führte diese doktrinäre Laissez-faire-Haltung zu einer Nichtanwendung schon vorhandener Regeln. Eine tatkräftigere SEC hätte es zum Beispiel niemals zugelassen, dass Bernard Madoff seinen Investmentbetrug abzog. Allein die Konstanz seiner Renditen – die, wie ich oben schon erwähnte, so zum Himmel stank – hätte zu einem wesentlich genaueren Blick in seine Geschäftsbücherführen müssen. Im Jahr 2005 schrieb ein sehr professioneller Ermittlungsbeamter namens Harry Markopolos – ein sanftmütiger Wirtschaftsprüfer aus Boston – einen 21 Seiten langen Brief an die SEC, in dem er darauf hinwies, die Wahrscheinlichkeit, dass Madoffs Investmentfonds auf einem Schneeballsystem beruhe, sei sehr hoch. Die einzige alternative Erklärung, die Markopolos angeben konnte, war nicht etwa, dass Madoff legal vorging, sondern dass er einen Trick namens »front-running« anwandte. Das hätte bedeutet, dass er die vertraulichen Informationen, an die er durch seine Börsengeschäfte gelangte, dazu benutzte, mit seinen anderen Fonds Profit zu machen. Markopolos hatte seit 1999 mit der SEC immer wieder wegen Madoff Verbindung aufgenommen, ohne auch nur das Geringste zu erreichen. 47 Während dieser Zeit lebte er in ständiger Angst vor Madoff und vor dessen Reaktion, falls dieser herausfände, dass er ihm auf die Schliche gekommen war. Und was sein Urteil über die SEC angeht, so könnte es kaum vernichtender ausfallen: »Bei meinen Erfahrungen mit …den Beamten der SEC wurde ich immer wieder tief enttäuscht. Die Anwälte, die bei der SEC für Wertpapiere zuständig waren, hatten so wenig Ahnung vom Finanzmarkt und waren bei ihren Ermittlungen so unfähig, dass sie meiner Ansicht nach letztendlich bei solch groß angelegten Betrügereien wie der, die Madoff später zugab, Hilfestellung leisteten.« Das ist ein ganz erstaunlicher Vorwurf: dass die SEC so abgrundtief schlecht arbeitete, dass sie im Endeffekt mit Betrügern gemeinsame Sache machte. Wenn man dann noch das regulative Gerüst miteinbezieht, das unzählige Löcher aufwies, und eine Regierung, deren ideologischer Grundsatz es war, die Jungs im freien Markt einfach machen zu lassen, dann ergibt sich daraus unweigerlich eine Situation, in der man alles, was zum Himmel stinkt, nicht einfach nur ignoriert, Cur ache sondern sogar leugnet, dass so etwas überhaupt geschehen kann.
Wenn wir uns einmal anschauen, wer möglicherweise etwas dagegen hätte unternehmen
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