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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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dereguliert und dem internationalen Kapitalfluss geöffnet worden waren, wuchsen sie immer stärker, zusammen mit dem Rest des britischen Finanzdienstleistungssektors. Der war nun zum größten und bedeutendsten Teil unseres Wirtschaftssystems aufgestiegen und gehörte auch zu den wenigen Bereichen britischen Lebens, die behaupten konnten, auf ihrem Gebiet die Welt zu beherrschen. (Es ist eine recht interessante Frage, in welchen Disziplinen Großbritannien wohl, global gesehen, führend ist. Von vier Bereichen kann es behaupten, Weltklasse zu sein: Finanzwesen, Rüstungsindustrie, die kreativen Künste und das Hochschulwesen. Von diesen vier erhält der erstgenannte Bereich starke staatliche Unterstützung, der zweite großzügige Investitionen und Fördermittel, der dritte wird zum größten Teil seinem Schicksal überlassen und der vierte ist nach und nach abgewirtschaftet worden und hat drei Jahrzehnte kontinuierlicher Entmutigung und chronischer Unterfinanzierung hinter sich. Wie sähe Großbritannien wohl heute aus, wenn es statt der Rüstungsindustrie oder der City unsere Russell-Group-Eliteuniversitäten gefördert hätte, um so in der Welt an erster Stelle zu stehen?)
    Die City of London wurde dank ihres historischen Vorsprungs und der Vorteile durch denDeregulierungsboom der achtziger Jahre zu einem, wenn nicht gar dem globalen Zentrumder neuen Expansion im Finanzwesen. So haben zum Beispiel die oben erwähnten Derivatemärkte ihr weltweites Hauptquartier in London. Der durchschnittliche Umsatz von Derivateverkäufen im Freiverkehr – das ist, wie Sie sich erinnern werden, der Handel, der direkt zwischen zwei Geschäftspartnern abgeschlossen wird, ohne dass sich eine Börse oder Aufsichtsbehörde dazwischenschaltet – stieg im Jahr 2007 auf einen Höchstwert von 2,105 B Ct vlossen willionen Dollar pro Tag . Ja, Sie haben ganz richtig gelesen: pro Tag. In den USA belief sich die entsprechende Summe nur auf 959 Milliarden. Auch die AIG-Abteilung, die die ganzen CDS-Versicherungen emittierte, welche letztendlich zum Bankrott der Firma führten, hatte ihren Sitz in London. Der Leiter der Abteilung, Joe Cassano, verdiente in den acht Jahren seiner Amtszeit 280 Millionen Dollar. Obwohl die Abteilung ihren Sitz in Großbritannien hatte, scheint die FSA sie nicht beaufsichtigt zu haben, was wohl daran lag, dass sie technisch gesehen das Tochterunternehmen einer amerikanischen Firma war. 48 Auch hier können wir wieder den Fluch jener Banken beobachten, die sich nicht als Banken definieren: Ein überaus bedeutender Teil der weltweiten Finanzarchitektur war durch die Maschen des Regelwerks gefallen, weil dieses so weit hinter den Finanzleuten hinterherhinkte, dass die bestehenden Regeln nicht mehr auf sie angewendet werden konnten. Das Ganze war ein bisschen so wie der Moment, als William Webb Ellis den Ball in die Hände nahm, loslief und damit ganz nebenbei das Rugby-Spiel erfand – außer dass in diesem Fall die Zuschauer des Spiels einfach nur herumstanden und sich ungefähr ein Jahrzehnt lang ratlos den Kopf kratzten, während direkt vor ihrer Nase ein riesiger, zahllose Billionen umfassender Markt heranwuchs. Dahin hat uns die Kultur der Deregulierung und die Gewohnheit, üble Gerüche ganz einfach zu ignorieren, geführt: dass es eine einzige Abteilung einer einzigen Firma schaffte, das weltweite Finanzsystem an den Rand des Ruins zu bringen, ohne dass sich auch nur ein einziger Aufsichtsbeamter darum gekümmert hätte.
    Und das bringt uns zu dem übelsten Gestank von allen, dem Punkt, der unter all den Dingen, die einfach nicht hätten passieren dürfen, der ausschlaggebende war. Die Kreditkrise ergab sich aus einem Klima (der Siegesparty des freimarktlichen Kapitalismus, die auf das Ende des Kalten Krieges folgte), einem Problem (den Subprime-Hypotheken), einem Fehler (den Risiko-Rechenmodellen) und einem Versagen, nämlich dem der Aufsichtsbehörden. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, sowohl den Zusammenbruch einzelner Firmen zu verhindern als auch die systembedrohenden Risiken einzudämmen, die sich daraus ergaben, aber sie versagten. Dieses Versagen bestand nicht so sehr in einer fehlenden Aufmerksamkeit für einzelne Details, sondern war vielmehr in einer ganzen Kultur begründet, in der sich alles um die Vorherrschaft des Geschäftemachens, das Geld, die Deregulierung und die Gewohnheit drehte, die Bedürfnisse des Finanzsektors immer an die erste Stelle zu setzen.
    Das hat uns an einen Punkt gebracht,

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