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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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und Alarm schlagen können, dann stoßen wir auf zwei Personengruppen: Wirtschaftswissenschaftlerund Journalisten. Man sollte eigentlich die Medien überhaupt nie wegen irgendetwas loben, aber Tatsache ist, dass wirklich einige Zeitungsjournalisten öffentlich über die sich anhäufenden Risiken sprachen und darüber, wie verletzlich das weltweite Finanzsystem gerade wegen dieser Risiken wurde. Larry Elliott im Guardian , Martin Wolf und Gillian Tett in der Financial Times und sogar der sonst oft so übertrieben enthusiastische Economist , sie alle warnten vor den Gefahren – und bekamen anders als Kassandra die Genugtuung, dass irgendwann allen klar wurde, wie recht sie die ganze Zeit hatten (Kassandras Fluch war, wie Sie sich vielleicht erinnern, dass niemand ihr Glauben schenkte). Es mag ja sein, dass Journalisten, wie Richard Posner anmerkte, von Natur aus einen Hang zu Berichten über Katastrophen und Zusammenbrüche haben: Die Presse »gedeiht immer dann ganz prächtig, wenn die Dinge dramatisch werden, und das Gleiche gilt für Konflikte, Notsituationen, Zwietracht und mangelnde Kontinuität«. (Es stimmt aber natürlich auch, dass man besonders im Fernsehen bei unzähligen Gelegenheiten marktschreierisch den Immobilienhype anfeuerte.) Ich kann nicht behaupten, diese Vorgänge von der ersten Stunde an verfolgt zu haben, aber als ich im Spätsommer 2007 mit meinen Recherchen begann, wurde mir sofort klar, dass das weltweite Bankensystem unmittelbar vor einer strukturellen Krise stand. Und wenn ich das schon erkennen konnte, warum dann nicht auch die Leute, die für das Wirtschaftssystem verantwortlich waren, oder andere, die sie berieten? Mit dieser Art von Fragen hat sich Daniel Kahneman mit beachtlichem Erfolg auseinandergesetzt. Im Bereich der Psychologie, aber auch der Technik (wo solche Phänomene von größter Bedeutung sind) hat man sich mit der Frage des »übermäßigen Selbstvertrauens« von Experten – also deren Neigung, zu viel Vertrauen in ihr eigenes Urteil zu haben – eingehend beschäftigt und ist dabei zu sehr interessanten Ergebnissen gekommen. Der Grund, warum Journalisten die drohende Krise eher vorausahnten als jene, die es eigentlich besser hätten wissen müssen, liegt vielleicht genau in diesemübermäßigen Selbstvertrauen der Experten − und einem zu großen Glauben, eine solche Krise könnte, nur weil es sie in dieser Form noch nie zuvor gab, auch gar nicht eintreten.
    Möglicherweise haben die Ökonomen deshalb so versagt, als es darum ging, die Krise vorauszusehen. Unter Finanzmenschen gibt es einen ziemlich lahmen Witz, der sich auf den chronischen Pessimismus und die negative Haltung der »dismal science« (der trostlosen Wissenschaft, wie die Ökonomie auch gern genannt wird) bezieht: Man erzählt sich, »dass Ökonomen sieben der drei letzten Abschwünge vorhergesagt haben«. Ha ha ha. Nun, diesen hier haben sie nicht kommen sehen. Um noch einmal das Wesentliche zusammenzufassen: Ein 20-prozentiger Preisverfall auf dem Immobilienmarkt – der auf den ersten Blick gar nicht so wahnsinnig unwahrscheinlich wirkt – genügte, um eine globale Bankenkrise auszulösen, die beinahe das gesamte Finanzsystem zum Einsturz brachte, gefolgt von einer weltweiten Rezession, die man schon fast als Depression bezeichnen kann. Warum also gab es nicht mehr Ökonomen, die das kommen sahen? Hat sich diese Branche tatsächlich so weit von der Realität entfernt? Kurz gesagt: Ja, das hat sie, von ein paar leuchtenden Ausnahmen einmal abgesehen, darunter vor allem Robert Shiller, Nouriel Roubini, Paul Krugman und John Kay. Man verließ sich viel zu sehr auf die perfekten akademischen Modelle aus dem Lehrbuch, und das führte dazu, dass die Vertreter dieser Wissenschaft während der schlimmsten ökonomischen Krise seit den dreißiger J C dr und ahren vollkommen von der Bildfläche verschwanden. Der ganze Berufsstand, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, ökonomische Prozesse zu erklären und nachzuvollziehen, versagte völlig. Ein amerikanischer Universitätsdekan sagte dazu: »Mein gesamter Fachbereich ist voller Ökonomen, die im Nachhinein eine brillante Erklärung dafür abliefern können, warum das alles passiert ist – aber kein einziger hat die Entwicklung vorausgesehen.« Ökonomen interessieren sich eben nicht mehr besonders dafür, ob etwas zum Himmel stinkt oder nicht. Die Krise stellte den gesamten Berufsstand bloß, so dasser ein wenig der britischen Armee in Singapur

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