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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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sieht riesig, seltsam und ziemlich wütend aus.«
    Wenn man bedenkt, wie wichtig die Ratingagenturen sind und dass sie buchstäblich die Macht haben, das Schicksal ganzer Nationen zu beeinflussen, dann würde man doch erwarten, dass es für ihr Verhalten, ihre Ratings und jegliche andere Einflüsse, die eventuell auf sie einwirken könnten, strikte Regeln gäbe. Tatsächlich aber sind die Ratingagenturen das weltweit schlimmste Beispiel für falsch gesetzte Anreize. Ihre Hauptkunden – also die Leute, die am stärksten von ihren Ratings abhängen –, sind Banken und andere Investoren. Der Handel, den diese mit Anleihen treiben, basiert auf den Ratings, die von den Agenturen ausgegeben werden. Es gab einmal eine Zeit, da konnten Investoren die Ratings nur einsehen, wenn sie den Service der Agenturen abonnierten.
    Aber Mitte der siebziger Jahre änderte die SEC plötzlich ihre Meinung darüber, wie das Ganze abzulaufen hatte. Man hatte dort allem Anschein nach entschieden, dass die Ratings zu wichtig waren, um ein eingeschränkter Service auf Subskriptionsbasis zu bleiben. Vielmehr sollte nun auch der Rest der Öffentlichkeit das Recht haben, diese Ratings einzusehen. Aber natürlich mussten die Ratings immer noch irgendwie bezahlt werden. Die SEC entschied daher, dass von jetzt an die jeweiligen Unternehmen, die auch die Anleihen emittierten, die Ratingagentur für deren Einschätzungen bezahlen sollten. Und diese Einschätzung sollte dann wiederum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das führte sofort zu einem Interessenskonflikt. Die SEC, die bei der Sache eigentlich ganz untadelige Motive verfolgte, hatte ganz aus Versehen eine Situation geschaffen, in der die Leute, die von den Agenturen beurteilt wurden, gleichzeitig auch deren Hauptzahlmeisterwaren. Die Einschätzung von Anleihen und Schuldtiteln ist ein äußerst lukratives Geschäft.
    Ganz zu Anfang bestand die Arbeit der Ratingagenturen hauptsächlich im Einschätzen von Unternehmensanleihen. Doch das sollte sich ändern. Etwa seit dem Jahr 2001, als erst der Immobilienmarkt, dann der Markt der hypothekenverbrieften Wertpapiere und schließlich auch der Markt der mit Subprime-Hypotheken verbrieften Wertpapiere abzuheben begann, waren die Ratingagenturen zunehmend damit beschäftigt, hypothekenverbriefte Wertpapiere zu beurteilen. Und das war sehr lukrativ. Ein stinknormales Paket aus hypothekenverbrieften Wertpapieren brachte den Agenturen drei Mal so viel ein w Cso theie die Einschätzung einer stinknormalen Unternehmensanleihe. 50 Wenn das kein falsch gesetzter Anreiz war! Die Ratingagenturen wurden nach Menge bezahlt. Je mehr Ratings sie also abgaben, desto mehr Geld erhielten sie. Sie waren einfach nur ein weiteres Glied in der Subprime-Kette, der es vollkommen egal war, ob die Kreditnehmer ihre Schulden überhaupt zurückzahlen konnten. Und genau wie bei allen anderen Gliedern dieser Kette florierte auch bei den Ratingagenturen das Geschäft. Zwischen 2002 und 2006 verdoppelten sich die Einnahmen von Moody’s und der Aktienwert der Firma verdreifachte sich. 51
    Die Unternehmen, die die Wertpapiere emittierten, wünschten sich natürlich AAA-Ratings, und mit der Hilfe der Ratingagenturen – die sich nicht allein auf die veröffentlichten Bewertungsmodelle beschränkte, sondern manchmal auch ganz handfeste Unterstützung beim Design der Schuldverschreibungen umfasste – bekamen sie diese Ratings auch. Infolgedessen erhielten fast 90 Prozent aller hypothekenverbrieften CDOs ein AAA-Rating. Unternehmensanleihen bekommen nur sehr selten ein solches Rating.
    Aber in der Zwischenzeit war die gesamte Branche sozusagen durch den Kaninchenbau ins Wunderland gefallen und hatte sich eingeredet, dass die neuen CDO-Instrumente einen märchenhaft sicheren Status hatten. Und das bringt uns zu jenergrotesken Situation, in der arme Menschen, die sich verzweifelt bemühen, ihre Hypothek abzubezahlen, wie durch ein Wunder die sichersten Finanzinstrumente der Welt hervorbringen. Das war ein sehr erfreuliches Ergebnis, sowohl für die Banken, die bei der Emission der CDO-Papiere Geld verdienten, als auch für die Ratingagenturen, die bei deren Bewertung abkassierten.
    Die Banken hatten keinerlei Hemmungen, einer Ratingagentur, die ihnen nicht das gewünschte Rating geben wollte, damit zu drohen, das Geschäft bei der Konkurrenz abzuwickeln. Daraus ergab sich eine Situation, in der es für die Ratingagenturen keinen Anreiz gab, die Schwachstellen der

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