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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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irgendwann auch wieder auf den Boden kommen muss. Was in der öffentlichen Diskussion der Krise fehlt, ist jemand, der darauf hinweist, in welchem Maße wir selbst für das Geschehene verantwortlich sind, weil wir zugelassen haben, dass unsere Regierungen sich so verhalten, un Kverst, d weil wir habgierig und dumm waren.
    Nicht nur die Banker haben sich der Habgier, der Kurzsichtigkeit und geradezu märchenhafter Vorstellungen vom Wesen der Wirtschaft schuldig gemacht. Zusätzlich zu unseren überstrapazierten Hypotheken bringen wir Briten es auf die Hälfte aller europäischen Kreditkartenschulden. Die Branche hat ihr Möglichstes getan, um uns anzustacheln, und dennoch ist diese Sachlage zutiefst erschreckend. Auch wenn es uns gelegen käme, allein den Banken die Schuld zu geben, die jegliche Kreditvergabe viel zu einfach machten, steht dochdie übrige britische Gesellschaft genauso in der Verantwortung.
    Wir waren wie besessen von unseren Immobilienpreisen, fühlten uns reicher, als das gut für uns war, liehen uns Geld, das wir nicht hatten, verschleuderten es für irgendwelchen Schrott und jetzt, da uns der Niedergang eingeholt hat – eine Entwicklung, die unvermeidlich war –, suchen wir uns einen anderen, dem wir die Schuld zuschieben können. Tja – schade aber auch. Die Banker tragen große Schuld, aber wir sind keineswegs frei davon. Und das ist gut so, denn schließlich müssen wir ja auch die Rechnung bezahlen.
    Mrs Thatcher setzte einen Prozess in Gang – und die Labour-Partei führte ihn fort –, bei dem sich der wirtschaftliche Schwerpunkt auf die Finanzindustrie verlagerte, und zwar auf Kosten anderer Bereiche der Gesellschaft. Man kann diese Politik ablehnen (was ich persönlich durchaus tue), aber genauso schädlich für Großbritannien war die Hegemonie ökonomischen oder quasi-ökonomischen Denkens. Ökonomische Metaphern wurden auf alle Aspekte des heutigen Lebens angewandt, was besonders für solche Disziplinen galt, wo sie überhaupt nichts zu suchen hatten. In Bereichen wie Bildung,Chancengleichheit, Gesundheitswesen, Arbeitnehmerrechte, beim Gesellschaftsvertrag und in der Kultur sollte es zuallererst immer um Werte und Prinzipien gehen, und dann erst um die Kosten und darum, was eine Gesellschaft sich leisten kann. Während der letzten 20 oder 30 Jahre wurde das in Großbritannien vollkommen verkehrt herum gehandhabt. Es gab eine Art umgekehrte Übernahme, bei der mit einem Mal die Wertvorstellungen der City die gesamte britische Gesellschaft dominierten.
    Wir müssen unbedingt allgemein akzeptieren, dass dieses Modell gescheitert ist, in dem alle Bremsen gelöst wurden, in dem Prinzipien galten wie: dereguliere oder stirb; wer nicht privatisiert, stagniert; nur Flaschen essen zu Mittag; Gier ist gut; was dem Finanzsektor nützt, nützt auch der übrigen Wirtschaft; entlasse die schwächsten 10 Prozent; Bonuszahlungen um jeden Preis; was man nicht messen kann, ist nicht real – dieses Modell hat sich ausgehend von der City auf die Regierung ausgedehnt und durchdrang von dort aus die gesamte britische Kultur, bis schließlich die Idee des Wertes durch die Idee des Preises ersetzt wurde.
    Als die Kreditkrise ihren Anfang nahm – nach der ersten Welle der Panik und dem Moment, als Bush seinen berühmten Ausspruch »this sucker could go down« losließ –, da dachte ich noch, es würde nun eine allgemeine Neubewertung unserer Lage stattfinden. Wir würden nicht nur auf das letzte Jahrzehnt der guten Zeiten zurückblicken und darüber nachdenken, sondern auch die Frage stellen, was sich unsere Gesellschaften zum Ziel gesetzt haben, wo uns der Kapitalismus hingebracht hat und ob wir auch weiterhin so hart arbeiten wollen wie bisher, nur um immer weiter einer sich beständig am Horizont verflüchtigenden Vision von Zufriedenheit hinterherzujagen. Man nennt es die »hedonistische Tretmühle«: Während man mehr und mehr Besitztümer anhäuft, rückt die Vorstellung von dem, was Glück bedeutet, stets gerade eben außer Reichweite. Es ist immer die nächste Gehaltserhöhung, der nächste Einkauf, der nächste Ort, an den man zieht,oder der nächste Fer K nmmer dienaufenthalt, der einen glücklich machen wird.
    Die Kreditkrise hätte man zum Anlass nehmen können, genau darüber nachzudenken. Wir Menschen im Westen können etwas tun, wozu in der Geschichte bisher noch kein Volk imstande war: Wir können der Welt zeigen, dass wir wissen, wann wir genug haben. Während dem Planeten die

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