Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Die Liebe zum Geld als einem Besitztum – eine Haltung, die sich grundlegend von der Liebe zum Geld als einem Mittel zum Genuss der Freuden und Umstände des Lebens unterscheidet – wird man als das erkennen, was sie eigentlich ist, nämlich etwas Abstoßendes, Unnatürliches, einejener halb-kriminellen, halb-pathologischen Veranlagungen, deren Behandlung man mit Schaudern einem Spezialisten für Geisteskrankheiten überträgt. Wir werden dann endlich in der Lage sein, uns von all jenen gesellschaftlichen Angewohnheiten und ökonomischen Praktiken zu befreien, welche die Verteilung des Reichtums und die wirtschaftlichen Belohnungen und Strafen betreffen und an denen wir im Augenblick noch um jeden Preis festhalten, egal wie abscheulich und ungerecht sie auch sind, weil sie sich eben als ungeheuer nützlich für die Anhäufung von Kapital erwiesen haben.
K wisic Keynes glaubte, dass die allerwichtigste Frage auf dieser Welt lauten werde, wie man sein Leben gestalten soll und wie man von jenen »wunderbaren Menschen« lernen kann, »denen es gelingt, sich der Dinge ganz unmittelbar zu erfreuen, wie die Lilien auf dem Felde – sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.«
Leider hat sich Keynes bei alledem von Grund auf geirrt. Der starke Anstieg unseres Wohlstands hat keineswegs zu der allgemeinen Erkenntnis geführt, es sei nun an der Zeit, alles etwas langsamer anzugehen und darüber nachzudenken, wer wir sind und was wir uns vom Leben erwarten. Das ist besonders heute sehr deutlich zu erkennen, nach dem großen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Manchmal, wenn man auf Reisen ist und sein Ziel schließlich erreicht, sieht man plötzlich das, was unterwegs passiert ist, mit völlig anderen Augen. Im Rückblick erkennt man, dass man sich hier und dort verirrt hat, ohne es zu bemerken, und manchmal auf dem richtigen Weg war, obwohl man glaubte, auf dem falschen zu sein, und vielleicht denkt man auch, die ganze Reise habe sich nicht gelohnt oder man hätte alles anders gemacht, wenn man damals schon gewusst hätte, was man heute weiß.
Das ist der Punkt, an dem wir nun angelangt sind, zu Beginn des zweiten Jahrzehnts unseres neuen Jahrtausends, inmitten der Nachwirkungen der Kreditkrise. Hier stehen wir nun und blicken zurück, während uns bewusst wird, welchenWeg wir gekommen sind und dass wir uns entscheiden müssen, was wir von all dem halten sollen. Im Rückblick wird uns klar, dass wir in wirtschaftlicher Hinsicht ein goldenes Zeitalter durchlebt haben. Doch dieses goldene Zeitalter entpuppte sich als unecht. Es gründete auf Schulden und einer nicht aufrecht zu erhaltenden Kreditblase und wurde von einem Finanzsystem gestützt, das, wie sich herausstellte, Risiken aufgrund wahnsinniger Fehlkalkulationen einging – aber damals wussten wir das alles nicht. Die meisten von uns hatten sogar keine Ahnung, dass es sich überhaupt um ein goldenes Zeitalter handelte; wir wussten nicht, dass viele von uns gerade die besten wirtschaftlichen Zeiten unseres Daseins durchlebten. Ich wünschte, irgendjemand hätte uns darauf aufmerksam gemacht, hätte uns gesagt, dass es uns noch nie zuvor so gut ging. Wenigstens hätten wir dann einen Bezugspunkt gehabt, etwas, dem wir hätten widersprechen können und das uns gezwungen hätte, über den Boom nachzudenken, den wir gerade erlebten. Hätten wir dann immer noch so viel Zeit damit vergeudet, uns mit billigen Krediten den Hals vollzustopfen? Wären wir dann immer noch so gedankenlos, so verschwenderisch, so habgierig gewesen?
In dieser Hinsicht kann Island anderen Ländern, die in der Krise stecken, ein Beispiel und Vorreiter sein. Der isländische Taxifahrer, der damals zu mir sagte: »Das waren 30 oder 40 Leute und jetzt muss das ganze Land dafür bezahlen«, sprach nichts als die Wahrheit: In Island wie auch anderswo war es tatsächlich nur eine verschwindend kleine Minderheit, die direkt für den finanziellen Mumpitz verantwortlich war, der die Krise auslöste. Und tatsächlich müssen alle anderen die Rechnung bezahlen. Aber es gibt noch ein fehlendes Glied in der Kette: Viele von uns haben sich in den guten Zeiten viel zu sehr von der allgemeinen Euphorie mitreißen lassen.
Kreditblasen und Vermögenspreisblasen passieren nicht einfach nur so, ohne dass die Leute sich daran beteiligen. Sie nehmen Kredite auf und geben Geld aus, spekulieren darauf, dass die Vermögenswerte steigen, und ignorieren die ewigwahre, auf ewig unbeliebte Regel, dass alles, was aufsteigt,
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