Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
CDO-Papiere aufzuzeigen, sondern im Gegenteil einen sehr starken Anreiz, die Klappe zu halten und ihnen ihr Gütesiegel aufzudrücken.
All dies – die üblen Gerüche, die übersehenen Warnsignale, die falsch gesetzten Anreize, die vollkommen verdrehte Einstellung gegenüber Risiken, die Arroganz der Meister des Universums, die Komplizenschaft der Aufsichtsbehörden und die Verschlafenheit der Gesetzgeber – waren symptomatisch für eine ganz bestimmte Kultur, für die sie gleichzeitig auch bestimmend waren: die Kultur der Finanzindustrie.
Es hätte nicht so weit kommen müssen. Ab und zu erhält man einen frustrierenden Eindruck davon, wie die Dinge in Großbritannien und den USA stattdessen hätten laufen können. Was der Allgemeinheit nutzt, ist nicht identisch mit den Interessen der Finanzindustrie – das hat man während der letzten 30 Jahre in der angloamerikanischen Welt getrost unter den Tisch gekehrt. Ein frenetisch überaktiver Finanzsektor ist keineswegs eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Wirtschaft eines Landes floriert.
7. Kapitel
Die Rechnung
Die letzte Frage, die noch bleibt, wenn wir in die Zukunft blicken, ist die wichtigste: Und was jetzt?
Ich habe schon erwähnt, dass ich die westlich liberalen Demokratien für die besten Gesellschaftsformen halte, die es je gab – was nicht etwa heißen soll, dass sie perfekt wären. Die Bürger dieser Gesellschaften sind, aufs Ganze gesehen, die vom Schicksal am meisten begünstigten Menschen, die je gele FBübt haben. Im Westen können sich fast alle einer Lebensqualität und Lebenserwartung erfreuen,um die sie jeder Pharao oder römische Kaiser beneidet hätte. Die meisten unserer Vorfahren und ein Großteil der übrigen Weltbevölkerung würden wohl ihre eigenen Zukunftsaussichten ohne zu zögern dafür eintauschen.
Diese Sachlage ist erstaunlich. John Maynard Keynes, der bedeutendste Ökonom seit Menschengedenken, hat sie in einem Essay von 1930 mit dem Titel »Economic Possibilities for our Grandchildren« (Die ökonomischen Chancen unserer Enkel) mehr oder minder genau vorhergesehen. Er schrieb diesen Essay inmitten der unmittelbaren Nachwirkungen des Schwarzen Freitags (der übrigens auch ihn in seiner Eigenschaft als Investor eine ziemliche Stange Geld gekostet hat). Dennoch war er keineswegs pessimistisch, sondern vielmehr überzeugt, dass es seine Zeitgenossen mit der allgemeinen Schwarzmalerei übertrieben. Großbritannien war über Jahrzehnte stetig reicher geworden und würde das auch weiterhin tun.
Keynes stellte die amüsante These auf, dass der britische Wohlstand auf den Golddiebstahl zurückgeht, den Sir Francis Drake im Jahre 1580 an den Spaniern verübte. Königin Elisabeth I. war damals dank des Anteils, der ihr aus diesem Fischzugzufiel, in der Lage, sämtliche Auslandsschulden des Landes zurückzuzahlen, den Haushalt auszugleichen und sogar noch ungefähr 40 000 Pfund übrig zu behalten. Eingerechnet 3 Prozent Zinsen summierte sich dieser Betrag im Jahr 1930 zu den 4 Milliarden Pfund Währungsreserven, über die Großbritannien zu diesem Zeitpunkt verfügte. Als Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ausgedrückt, heißt das: Großbritannien war inzwischen vier Mal so reich wie zu der Zeit, als Drake das Gold stahl. Ein weiteres Jahrhundert später, im Jahr 2030, sei, so schätzte Keynes, das Land nochmals zwischen vier und acht Mal reicher, womit im Endeffekt die Menschheit ihr größtes Problem gelöst hätte: den Kampf um das nackte wirtschaftliche Überleben.
Seine Vorhersage ist eingetreten – oder zumindest ist sie das in ökonomischer Hinsicht. Es bleiben nur noch zwei Jahrzehnte bis zum Stichtag, und wir sind bereits 4,6 Mal reicher, als wir es zu Keynes’ Lebzeiten waren. Aber Keynes hat sich bei der Frage, welche Folgen das für uns haben wird, gründlich geirrt. Er dachte, es müsste uns klarwerden, wie glücklich wir uns damit schätzen können. »Wenn die Anhäufung von Vermögen nicht mehr diese große gesellschaftliche Bedeutung hat, wird sich der menschliche Moralkodex grundlegend verändern. Wir werden in der Lage sein, uns zahlreicher pseudomoralischer Grundsätze zu entledigen, die uns während der letzten zweihundert Jahre geplagt und aufgrund derer wir einige der widerwärtigsten menschlichen Eigenschaften zu größten Tugenden verherrlicht haben.« Womit er Habgier und Gewinnsucht meinte.
Wir werden uns das Wagnis leisten können, das Motiv des Geldverdienens auf seinen wahren Wert zu reduzieren.
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