Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Ressourcen ausgehen – was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass alle einen ähnlichen Lebensstil anstreben, wie wir ihn im Westen genießen –, hätte diese Erkenntnis das Potential, die Welt zu retten.
Ich glaube nicht, dass dieser Moment der Erkenntnis je kommen wird. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir zwar nach globalen und historischen Maßstäben reich sind, wir uns aber durchaus nicht so fühlen. Und selbst wenn unsereExistenzgrundlagen nicht von der Rezession und dem allgemeinen wirtschaftlichen Abschwung bedroht sein sollten, so stehen wir doch alle im Begriff, uns erheblich ärmer zu fühlen als zuvor. Das liegt daran, dass wir in den westlichen Industriestaaten – um mal einen wirtschaftswissenschaftlichen Fachterminus zu benutzen – geliefert sind. Überall kämpfen Wirtschaftssysteme verzweifelt ums Überleben. Weil niemand Geld ausgibt, geraten sogar relativ unschuldige Staaten wie Deutschland, mit relativ niedrigem Schuldenstand und mit Arbeitskräften, die tatsächlich noch etwas herstellen, in Schwierigkeiten.
Im übrigen Europa ist die Lage noch viel kritischer und verschlimmert sich täglich. Es gibt eine solche Flut von wahrhaft grauenerregenden statistischen Daten, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Das vielleicht schlimmste Beispiel findet sich in Spanien, wo sage und schreibe 50 Prozent der jungen Menschen im jobfähigen Alter unter 25 arbeitslos sind. Kann eine hochentwickelte Gesellschaft ein solch hohes Maß an Arbeitslosigkeit überhaupt tragen, ohne daran zu zerbrechen? Das werden wir wohl bald erfahren.
Ich bin überzeugt, dass solche Phänomene in Zukunft zuimmer mehr Wut und Ärger führen werden. Auch hier kann man Island als Vorreiter bezeichen: Dort führte die Blindheit der Regierung gegenüber den Folgen ihrer eigenen Politik schließlich zur sogenannten »Topfdeckelrevolution«, bei der die Menschen so lange vor dem Parlamentsgebäude auf ihrem Kochgeschirr trommelten, bis die Regierung zurücktrat und Neuwahlen ausrief. Seitdem hat es sowohl in den USA als auch überall in Europa Regierungswechsel gegeben, von Irland über Großbritannien bis hin zu den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Finnland, der Slowakei, Slowenien und noch einigen anderen Ländern. Nur Deutschland bildet eine auffallende und zunehmend einsame Ausnahme.
Während man sich bemüht, die von der Krise verursachte Zeche zu bezahlen, werden insbesondere die immer weiter steigenden Steuern undder Wegfall von Arbeitsplätzen und staatlichen Dienstleistungen dazu führen, dass sich bei den Menschen stetig und unaufhaltsam immer mehr Wut anstaut. Ich bin mir nicht ganz sicher, gegen wen sie sich richten wird: Ich hoffe, das werden die verantwortlichen Instanzen sein, aber ich würde nicht darauf wetten. Der Volkszorn ähnelt einem Gewitter, denn er neigt dazu, seine Energie auf jeden zu entladen, der das Pech hat, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und in irgendeiner Form herauszuragen.
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Fassen wir zusammen: Auf einen riesigen nicht-regulierten Boom, dessen Erträge fast ausschließlich direkt in private Taschen wanderten, folgte ein gigantischer Zusammenbruch, dessen Verluste der Gesellschaft aufgebürdet wurden. Dass die Welt so funktionieren sollte, hat sich wirklich niemand gewünscht. Anhänger des freien Marktes finden das genauso abscheulich wie Sozialdemokraten oder überzeugte Linke. Ab Kgterklich ner es scheint niemand mit anderen Modellen aufzuwarten, mit Alternativen: Dort, wo früher einmal die Kampfansagen der Linken ertönten, gibt es nun ein ideologisches und theoretisches Vakuum.
Der Kapitalismus hat keinen globalen Widersacher mehr, und das ausgerechnet in dem Moment, in dem er ihn am bittersten nötig hätte. Vielmehr hat der Kapitalismus nun einen tödlichen Gegner gefunden; das Problem ist nur, dass dieser Gegner der Kapitalismus selbst ist. Im Verlauf der letzten 15 Jahre hat es das Long-Term-Capital-Management-Debakel gegeben; einen beispiellosen systembedrohenden Zusammenbruch, der durch fehlerhafte Rechenmodelle ausgelöst wurde; die Enron-Pleite – eine nie zuvor dagewesene Bloßstellung eines enorm großen und enorm angesehenen Unternehmens, das sich im Wesentlichen als ein einziger Bilanzschwindel herausstellte; und nun die Kreditkrise, die ihrerseits eine beispiellose, aus sich selbst heraus erzeugte Finanzimplosion war.
Es ist nicht zu übersehen, dass diese Schreckensmomente immer größer und unmittelbarer werden
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