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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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gegen die Behauptung, das Selbstwertgefühl der Frauen hänge immer noch daran, einen Freund zu haben, besteht darin, daß sich dies nicht so verhält, weil es den Frauen nicht gelungen wäre, sich von unliebsamen Überbleibseln der Vergangenheit zu befreien, sondern gerade weil die Frauen in der Abhängigkeit ihres Selbstwertgefühls von der Liebe modern sind. Die Ratgeberliteratur zu Partnersuche, Sex und Liebe ist deshalb so einträglich, weil die Einsätze bei Partnersuche, Sex und Liebe in bezug auf 235 ihr Vermögen, soziale Geltung und ein Selbstwertgefühl zu vermitteln, so hoch geworden sind.
    Dagegen mag man vielleicht einwenden, daß das Selbst doch wohl immer in romantische Affären verstrickt war, bei denen die Liebe zweifelhaft war und einseitig blieb. Zählen nicht Schmerz und Leid in Sachen Liebe zu den ältesten Motiven der Weltliteratur? Das trifft zweifellos zu, doch ist aus soziologischer Perspektive die Frage entscheidend, wie das Selbst verstrickt, gepriesen oder abgewertet wurde. Ich behaupte, daß das moderne Selbst nicht nur auf andere Weise in romantische Beziehungen einbezogen ist, sondern daß sich schon die Erfahrung seelischen Leidens in der Moderne davon unterscheidet, wie dieses in der Vergangenheit erlebt wurde. Zwar ist Schmerz eines der ältesten Motive der Liebe, doch wurde er unter vier verschiedenen und/oder sich überlappenden kulturellen Bezugssystemen erfahren, die unserem modernen Empfinden fremd geworden sind. Diese vier vormodernen kulturellen Bezugssysteme des Liebesleids sind: das aristokratische, das christliche, das der romantischen Bewegung und das medizinische.
    In der westeuropäischen Geschichte war die höfische Liebe das vielleicht erste weitverbreitete kulturelle Modell, das Leid ins Zentrum des Liebeserlebens stellte.  [48] In der Literatur der provenzalischen Troubadoure läuterten die durch unerwiderte Liebe verursachten Leiden die Seele des Liebenden. Ja, dieses Leiden war geradezu die Quelle der dichterischen Inspiration des Troubadours. Durch platonische Einflüsse vermittelt, war die höfische Liebe äußerst idealistisch und somit in der Lage, Liebe und Liebesleid in eine erhabene Erfahrung zu verwandeln. Mehr noch: Die Liebe und das Leiden an ihr adelten sowohl den Liebhaber als auch die Geliebte; in diesem Schema pflegte die Liebe folglich »die Menschen besser zu machen, vornehmer, fähi 236 ger, ihre menschliche Natur zu verwirklichen«.  [49] Ein deutliches Beispiel hierfür bietet die folgende Darstellung:
     
    Ich finde die Qualen der Liebe so ergötzlich, daß ich, obwohl ich weiß, daß sie mich töten wollen, weder wünsche noch wage, ohne Midons  [seine Dame] zu leben oder mein Glück anderswo zu versuchen, denn sie ist derart, daß es mir Ehre einlegen wird, wenn ich nur einfach als ihr treuer Liebhaber sterbe, und noch hundertmal mehr Ehre, sollte sie mich behalten; darum darf ich nicht zögern, ihr zu dienen.  [50]
    Das Leid macht das Selbst nicht zunichte, sondern erhöht und verherrlicht es. Unübersehbar ist das Leid hier in eine Rahmenerzählung eingebunden, in der das Selbst als eines von männlicher Tapferkeit, Treue, Stärke und Hingabe an eine Frau figuriert. Somit ist Leid ein Ausdruck aristokratischer Werte.
    Das aristokratische Leidensideal war mit christlichen Werten durchsetzt: Es machte Gegenseitigkeit nicht zur Bedingung der Liebe, und es verstand Leiden als eine Läuterung der Seele. Das Christentum gebot über einen narrativen Rahmen, um die Erfahrung des Leidens zu organisieren, und verstand diese sogar als theologisches Zeichen der Erlösung. Als kulturelles Bezugssystem verwandelte das Christentum Leiden in etwas Sinnvolles, eine positive, ja sogar notwendige Erfahrung, eine Erfahrung, die die Seele erhöhte und es einem erlaubte, einen göttlichen Zustand zu erreichen. In dieser kulturellen Matrix untergräbt mithin das Leiden das Selbst nicht: Es trägt vielmehr dazu bei, es zu konstituieren und zu verherrlichen. Mit dem Niedergang des Christentums kam das romantische Leiden als eine weitere Quelle des Selbstwerts im künstlerischen Ausdruck und in der romantischen Bewegung ins Spiel. Wie im Christentum wurde Leid als unvermeidliche, notwendige und hö 237 here Dimension der Existenz betrachtet.  [51] Lord Byron, einer der repräsentativsten Vertreter dieser Bewegung, pries die Selbstvernichtung und die Vernichtung anderer in der Liebe, eine Überzeugung, die ihm Verse wie den folgenden eingab: »Meine

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