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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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feststellte, daß er sonst in eher guter körperlicher Verfassung war.  [56]
    Die Erkrankung wurde als eine körperliche verstanden, vielleicht sogar als vorübergehende Erkrankung des Geistes, aber nicht als eine, die das Selbstwertgefühl bedrohte. Im England des 17. Jahrhunderts behandelte und heilte ein Arzt namens Napier allerlei Leiden. Der Historiker Michael MacDonald hat die von Napier hinterlassenen Aufzeichnungen analysiert und beschreibt die Natur einiger dieser Leiden wie folgt:
     
    240 Nahezu 40 Prozent der Männer und Frauen, die Napier ihre Ängste und Dilemmata beschrieben, beklagten sich über die Verdrießlichkeiten des Liebeswerbens und des Ehelebens.  […] Leidenschaftliche Anhänglichkeit war unter der Kundschaft des Astrologen stark verbreitet. Beziehungskräche, unerwiderte Liebe und falsches Spiel bildeten den Grund für das Gefühlschaos bei 141 Personen, von denen rund zwei Drittel junge Frauen waren.  [57]
    Die meisten ehelichen Beschwerden, die der Arzt und Astrologe Napier zu hören bekam, betrafen »ein erschreckendes Unvermögen, finanziell verantwortungsbewußt, grundsätzlich loyal, nüchtern und umgänglich zu sein«.  [58] Natürlich besteht auch heute kein Mangel an Männern, die ihre Pflichten gegenüber ihrer Familie vernachlässigen, doch beziehen sich die modernen Beschwerden über Männer eher auf ihre Unfähigkeit, sich um das Selbst der Frauen zu kümmern. Zudem wurden die Schmerzen des Liebesleids als körperliche Empfindungen beschrieben und erfahren, nicht als Eindrücke, die auf gestörte Psychen deuteten. Der medizinische Diskurs verherrlichte das Leiden nicht um seiner selbst willen, sondern versuchte es zu beseitigen wie bei einer körperlichen Erkrankung.
    Auch das moderne Liebesleiden soll operativ entfernt werden, freilich vor dem Hintergrund radikal anderer Modelle des Selbst: Es soll im Namen eines utilitaristischen und hedonistischen Modells psychischer Gesundheit ausgemerzt werden, eines Modells, in dem das Leiden entweder ein Anzeichen für eine gestörte psychische Entwicklung oder für eine elementare Bedrohung des sozialen Selbstwertgefühls und der Selbstachtung ist. In der zeitgenössischen Kultur zeigt sich ein ausgereifter Charakter folglich an der Fähigkeit, Leiderfahrungen zu überwinden oder, besser noch, ganz zu vermeiden. Romantisches Leiden ist nicht mehr Bestandteil einer psychischen und sozialen Öko 241 nomie der Charakterbildung, sondern bedroht diese vielmehr.
    Mehr noch: Was genuin modern ist am romantischen Leiden, ist der Umstand, daß das Liebesobjekt auf komplizierte Weise mit Wert und Geltung des Selbst verschlungen und das Leiden zum Zeichen eines beschädigten Selbst geworden ist. Im Ergebnis untergräbt die Abtrünnigkeit des Liebesobjekts das Selbst. Die ontologische Unsicherheit des Selbst und sein Bedürfnis nach intersubjektiver Anerkennung werden folglich durch den Umstand noch verschärft, daß es keine kulturellen/spirituellen Bezugssysteme mehr gibt, die das Liebesobjekt gleichsam recyceln und für die Charakterbildung in Anschlag bringen.
Anerkennung versus Autonomie
    Im Rahmen seiner Erkundung der Paradoxien des Begehrens äußert Alexandre Kojève, Hegels interessantester Kommentator, die Ansicht, das Begehren könne mit der »Entfaltung von Individualität« und der »Universalisierung gegenseitiger Anerkennung«,  [59] wie sie in einer egalitären Gesellschaftsordnung zu erlangen wäre, unverzüglich gestillt werden. Kojève dachte an eine Universalisierung der klassenbezogenen Anerkennung, doch läßt sich der Gedanke umstandslos auch auf den Bereich der Geschlechterbeziehungen übertragen. Auf diesem Gebiet hätte man erwartet, daß ein Mehr an Gleichheit zwischen den Geschlechtern auch ein Mehr an Individualität und wechselseitiger Anerkennung mit sich gebracht hätte. Tatsächlich versteht eine bestimmte Interpretationslinie des Hegelschen Kampfs um Anerkennung zunehmende Autonomie als Voraussetzung für zunehmende Anerkennung. Je freier der Sklave wird, 242 desto mehr Anerkennung kann er beanspruchen und bekommen.
    Möge sich diese Position auch für den Bereich der Politik aufrechterhalten lassen, so liegen die Dinge im Bereich der erotischen Verhältnisse wesentlich komplizierter. Denn diese Auffassung ist blind für die Widersprüche, die das erotische Begehren mit sich selbst uneins werden lassen. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach sogar gerade die Entfaltung von Individualität und Autonomie,

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