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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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Umarmung war verhängnisvoll …   /   Ich liebte und zerstörte sie.«  [52] Wie andere Romantiker auch war Byron ein Sinnesmensch, dem Schmerz als Manifestation einer bedeutsameren Existenz galt. »Das große Ziel des Lebens ist Sensation, damit wir fühlen, daß wir existieren, wenn auch unter Qualen.«  [53] Ein Mangel an Gegenseitigkeit wurde somit nicht als Vernichtung des Selbst empfunden, weil Anerkennung und Selbstwertgefühl nicht auf der Erfahrung der Liebe beruhten und weil man glaubte, das Selbst drücke seine vitalen Energien in einer Vielfalt von Erfahrungen aus, die vom Lieben bis zum Erleiden von Qualen reichte. Kulturell gerahmt und gestaltet wurde der romantische Ausdruck romantischen Leidens durch die strukturierende Erfahrung der Melancholie. Die Melancholie zeichnet sich dadurch aus, daß sie das Gefühl der Liebe ästhetisiert und den Liebenden, wie in der höfischen Liebe, adelt. Die romantische Melancholie war überwiegend männlich und in ein Modell des Selbst integriert, in dem das Leiden den leidenden Mann zu einem Helden machte, der durch seine Leidensfähigkeit die Tiefe seiner Seele bewies. In der Melancholie beeinträchtigte beziehungsweise untergrub das Leiden das Selbstwertgefühl nicht, sondern verhalf einer Form von Feingefühl und Kultiviertheit der Seele zum Ausdruck. Man kann sogar 238 noch weitergehen und behaupten, daß es dem an Melancholie Leidenden zu einer Art symbolischem/emotionalem Kapital verhalf. Diese Vorstellungen von Liebe und Leiden waren oft, wenn auch nicht ausschließlich, ein männliches Privileg, was vielleicht auch darauf hindeutet, daß sie die Lebensenergie des Selbst steigerten.
    Vor allem in den höheren intellektuellen Sphären war Frauen diese Sensibilität nicht fremd. Margaret Fuller, Zeitgenossin Ralph Waldo Emersons und eine Frau von eindrucksvollem Charakter und Verstand, hatte, was wir als ein unglückliches Liebesleben beschreiben können: Regelmäßig liebte sie Menschen, die ihre leidenschaftlichen Gefühle nicht erwidern wollten oder konnten. Cristina Nehring faßt zusammen, wie Fuller ihren unglücklichen Liebeserlebnissen einen Sinn abgewann:
     
    Fuller glaubte ans Leiden. Sie glaubte an seine läuternde Kraft und an ihre eigene Fähigkeit, diese zu ertragen. Mitunter fragte sie sich, ob ihr Geschlecht sich besonders gut dafür eignete, dem Leiden ins Auge zu schauen. Wie sie betonte, flohen die Männer im Leben Jesu in dessen Stunden der Not regelmäßig, während sich die »Frauen so wenig vom Fuß des Kreuzes fernhalten konnten wie von der Verklärung des Herrn«. Die Frauen, die Christus liebten, wollten nicht »von der dunklen Stunde verbannt sein«. Sie wollten von ihr lernen. Sie wollten tiefer werden durch sie – so wie Fuller durch ihre Tragödien tiefer wurde.  [54]
    In all diesen Beispielen verbindet sich die aristokratische Ästhetisierung des Leidens mit seiner religiösen Verklärung, um es auf eine Erfahrungsstufe zu heben, auf der sich Bedeutung und sogar Größe für das Selbst ableiten ließen. Die zitierten Beispiele sind mehr als anekdotische Belege. Sie verweisen auf ein kulturelles Muster, demzufolge Liebesleid zu einem Charakterideal umdefiniert und in dieses integriert wurde, statt das Selbstwertgefühl des Selbst zu bedrohen.
    239 Die einzige Tradition, die das Liebesleid nicht idealisierte und zu einem Aspekt des idealen Selbst machte, war der medizinische Diskurs. Im 16. und 17. Jahrhundert verstand man die »Liebeskummer« genannte Krankheit als körperliche Zerrüttung, die zwar die Seele beeinträchtigte, aber nicht an das Selbstwertgefühl rührte. Anfang des 17.   Jahrhunderts sah Robert Burton die Opfer der Liebe als »Sklaven, Lastesel auf Zeit, Verrückte, Narren, Schafsköpfe, atrabilarii , außer sich und stockblind«.  [55] Die Liebesleiden waren eine Folge körperlicher Störungen und lagen damit auf derselben Ebene wie organische Krankheiten. In ähnlicher Weise schrieb Jacques Ferrand, ein im späten 16. Jahrhundert geborener Arzt:
     
    Im Mai 1604, als ich gerade in Agen (wo ich geboren bin) zu praktizieren begann, diagnostizierte ich aufgrund des Vorhandenseins der meisten dieser Symptome Liebeswahn bei einem jungen Gelehrten, einem Mann aus Le Mas d’Agenais.  […] Ich sah vor mir einen jungen Mann, grundlos traurig, der kurz zuvor noch aufgeräumt gewesen war; ich sah sein bleiches, zitronengelbes und mattes Gesicht, seine tief in den Höhlen versunkenen Augen, wobei ich

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