Warum Liebe Weh Tut
zwischen Realität und Fiktion schwebende Figur und die Realität ihrer eigenen Empfindungen in die Einstudierung imaginärer kultureller Stereotype und Skripte.
Emma kann zwischen ihrer Liebe und ihren Bildern von der Liebe nicht unterscheiden. Im Gegensatz zu Hobbes’ und Sartres Behauptungen sind Emmas Einbildungen wesentlich lebendiger und realer für sie als ihr tägliches Leben. In einer Vorwegnahme postmoderner Klagen scheint Emmas Liebe lediglich aus der Wiederholung leerer Zeichen zu bestehen, die ihrerseits von den seinerzeit aufkommenden Kulturindustrien wiederholt werden. Eigentlich jedoch ist es ihr alltägliches Leben, das als ein blasses, kaum wahrnehmbares Abbild des imaginären Originals erscheint, wie in einer Vorwegnahme von Baudrillards Befürchtung, das Reale sei auf seine Simulation reduziert worden. In der Moderne 373 wirkt die Aktivität der Einbildungskraft auf das Verhältnis des Subjekts zum Realen ein, indem sie das Reale entleert und zu einer dünnen und blassen Widerspiegelung rein geistig ausgelebter Szenarien macht.
Die Crux der Einbildungskraft hängt also mit der Organisation des Begehrens zusammen – damit, wie Menschen begehren, wie kulturell herausragende Wahrnehmungsangebote das Begehren prägen und wie wiederum ein solches kulturell erzeugtes Begehren gewöhnliche Formen des Leidens hervorbringt, zu denen chronische Unzufriedenheit, Enttäuschung und ewige Sehnsucht gehören. Die Vorwegnahme von Erfahrungen in der Vorstellung wirft zwei Probleme auf: ein epistemologisches (erlebe ich die Sache an sich oder nur ihre Repräsentation?) und ein ethisches (inwieweit beeinträchtigt dies meine Möglichkeit, ein gutes Leben zu führen?). Die Frage, welche emotionalen Folgen die Technologien der Vorstellungskraft nach sich ziehen, ist um so dringender, als sich das 20. Jahrhundert durch eine spektakuläre Beschleunigung solcher Imaginationstechnologien auszeichnete. Das Kino perfektionierte, was der Roman begonnen hatte, nämlich Techniken der Identifikation mit den Charakteren, die Erkundung unbekannter visueller Szenerien und Verhaltensweisen sowie die Produktion von Bildern des täglichen Lebens, die als kompakte ästhetische Szenen angelegt sind und die Bandbreite der Techniken zum Vorstellen und Ausmalen von Sehnsüchten erweiterten. Mehr als jede andere Kultur in der Menschheitsgeschichte drängt die Konsumkultur aktiv und sogar aggressiv darauf, daß die Menschen von ihrem Vorstellungsvermögen Gebrauch machen und sich in Tagträumen ergehen. Tatsächlich wird nur selten darauf hingewiesen, wie sehr Emmas Phantasie der Motor für die Schulden ist, die sie bei Lheureux macht, einem abgefeimten Kleinhändler, der ihr Stoffe und Modeschmuck verkauft. Emmas Phantasien führen direkt in die frühe Konsumkultur Frankreichs im 19. Jahr 374 hundert, gerade weil sie durch ihr romantisches Begehren vermittelt sind.
Wie der eingangs zitierte Adorno behauptet, wurde das Einbildungsvermögen durch die bürgerliche kommerzialisierte Kultur gleichermaßen diszipliniert und unerbittlich stimuliert. Colin Campbell und andere Soziologen sind der Auffassung, daß der Konsum durch Träume und Phantasien angetrieben wird, die den einzelnen in die Frage nach seiner Identität verwickeln. In seinem Buch The Romantic Ethic and the Spirit of Modern Consumerism argumentiert Campbell, daß die Konsumkultur ein »romantisches Selbst« in den Mittelpunkt gerückt hat, ein gefühlvolles Selbst voller Sehnsüchte nach Authentizität, durch die Emotionen, Einbildungen und Tagträumereien ausgelöst werden. [22] In seiner Erörterung vorausgreifender Konsumerfahrungen macht Campbell geltend, daß »die zentrale Konsumaktivität […] nicht in der tatsächlichen Auswahl, Anschaffung und Nutzung der Produkte besteht, sondern in der imaginären Vergnügungssuche und -sucht, zu der sich das Produktimage anbietet«. [23] Das konsumistische und das romantische Selbst sind somit historisch vergemeinschaftet.
Campbell erläutert nicht genau, wie diese Art niedrigschwelligen Tagträumens in Gang gesetzt wird, doch können wir vier Quellen vorschlagen, deren Zusammenspiel mächtige kognitive Mechanismen des »Tagträumens« oder »Sehnens« hervorbringt, wie man es für gewöhnlich nennt. Erstens bilden Waren den Endpunkt eines komplexen und unerschöpflichen Prozesses der Bedeutungserzeugung durch Werbung, Markenpflege und andere mediale Kanäle; dieser Prozeß der Bedeutungserzeugung assoziiert Waren mit
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