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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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eindeutig modernen Gefühl macht, ist in der Tat das Ausmaß, in dem sie ein vorgreifendes Gefühl ist, also gut einstudierte emotionale und kulturelle Szenarien umfaßt, die sowohl die Sehnsucht nach einem Gefühl als auch die nach dem dazugehörigen guten Leben prägen (ein vormodernes Äquivalent dazu könnte vielleicht jenes vorgreifende Gefühl des Schreckens oder der Hoffnung gewesen sein, das man im Nachdenken über den Tod oder das Jenseits in Form von Hölle und Paradies empfunden haben mag). Als Emma Bovary zum ersten Mal Ehebruch begeht, erlebt sie diesen ausschließlich im Modus der literarischen Genres, von denen ihre Einbildungskraft erfüllt ist:
     
    Immer wieder sagte sie sich: »Ich habe einen Geliebten, einen Geliebten!«
     […] Sie war in eine Wunderwelt eingetreten, in der alles Leidenschaft, Verzückung und Rausch war. Blaue Unermeßlichkeit breitete sich rings um sie her, vor ihrer Phantasie glänzte das Hochland der Gefühle, und fern, tief unten, im Dunkel, weit weg von diesen Höhen, lag der Alltag.
    Sie erinnerte sich an allerlei Romanheldinnen, und diese Schar empfindsamer Ehebrecherinnen sang in ihrem Gedächtnisse mit den Stimmen der Klosterschwestern. Entzückende Klänge! Jene Phantasiegeschöpfe gewannen Leben in ihr; der lange Traum ihrer Mädchenzeit ward zur Wirklichkeit. Nun war sie selber eine der amoureusen Frauen, die sie so sehr beneidet hatte!  […] Jetzt triumphierte sie, und ihre so lange unterdrückte Sinnlichkeit wallte nun auf und schäumte lebensfreudig über. Sie genoß ihre Liebe ohne Gewissenskämpfe, ohne Nervosität, ohne Wirrungen.  [19]
     
    371 Diese Vorstellungswelt prägt in ihrer Vorwegnahme die Gefühle, die sie in ihrem Leben zu einer so enttäuschten Ehefrau machen und sie ermutigen, sich in Leo und Rodolphe zu verlieben. Madame Bovary war einer der ersten Romane, der das Verhältnis zwischen der Einbildung und den Aufgaben und Pflichten des alltäglichen häuslichen Lebens hinterfragte. Zwar phantasiert und tagträumt Don Quixote weit mehr als Emma, doch gefährden seine romantischen Phantasien nicht seine Pflichten als Vater oder Gatte beziehungsweise die häusliche Sphäre oder Einheit. Im Unterschied zu Don Quixote ist Emma in erster Linie die Frau eines gutherzigen und mittelmäßigen Landarztes, und in ihren Tagträumen – die in ihrem Innenleben absolute Priorität genießen – verschlingen sich ein emotionales und ein sozial aufwärtsmobiles Projekt: »Die Spießerlichkeit ihrer Wohnung verlockte sie zu Utopien von Pracht und Herrlichkeit und die ehelichen Freuden zu ehebrecherischen Gelüsten.«  [20] Die Einbildung ist hier sowohl privat/emotional als auch sozial/ökonomisch; sie ist die Antriebskraft zur Kolonialisierung der Zukunft schlechthin und begründet gegenwärtige Entscheidungen mit dem Bild, das man sich von der Zukunft macht, womit sie wiederum diese Zukunft formt. Eine der interessantesten Transformationen der Institutionalisierung der Einbildungskraft in der Massenkultur besteht darin, daß diese zunehmend von Technologien und kulturellen Genres geprägt wird, die Begierden, Sehnsüchte und vorgreifende Gefühle (Gefühle anläßlich künftiger Gefühle) auslösen sowie kognitive Skripte darüber hervorbringen, wie diese Gefühle sich anfühlen und wie sie dargestellt werden sollten.
    Die Einbildungskraft beeinflußt und prägt die Gegenwart, gerade weil sie deren Möglichkeiten – was sie sein könnte oder sein sollte – kognitiv immer auffälliger hervortreten 372 läßt. Wie der Erzähler in Madame Bovary deutlich macht, hat diese romantische Einbildungskraft zwei Effekte: Sie verwandelt die Liebe in ein vorgreifendes Gefühl, ein Gefühl also, das empfunden und erträumt wird, bevor es sich in Wirklichkeit einstellt; dieses vorgreifende Gefühl wiederum beeinflußt die Einschätzung der Gegenwart, weil es ermöglicht, daß sich reale und fiktionale Emotionen überlagern und ersetzen:
     
    Aber beim Schreiben stand vor ihrer Phantasie ein ganz anderer Mann: nicht Leo, sondern ein Traumgebilde, die Ausgeburt ihrer zärtlichsten Erinnerungen, eine Reminiszenz an die herrlichsten Romanhelden, das leibhaft gewordene Idol ihrer heißesten Gelüste. Allmählich ward ihr dieser imaginäre Liebling so vertraut, als ob er wirklich existiere, und sie empfand die seltsamsten Schauer, wenn sie sich in ihn versenkte, obgleich sie eigentlich gar keine bestimmte Idee von ihm hatte.  [21]
    Emmas Vorstellung verwandelt Leo in eine

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