Warum macht Sex Spaß?
Tatsache, daß sie nicht zu unserem normalen Repertoire gehört, und das gleiche gilt auch für alle anderen Säugetierarten mit Ausnahme des gerade erwähnten Einzelfalls. Die Evolution wäre also offensichtlich in der Lage gewesen, milcherzeugende Männer hervorzubringen; warum hat sie es nicht getan? Diese wichtige Frage läßt sich nicht ohne weiteres mit dem Hinweis auf die mangelnde Ausstattung der Männer beantworten. Die Milchproduktion der Männchen verdeutlicht sehr schön alle wichtigen Themen in der Evolution der Sexualität: Evolutionskonflikte zwischen Männchen und Weibchen, die Bedeutung der Gewißheit der eigenen Mutter- oder Vaterschaft, Geschlechtsunterschiede bei der Investition in die Fortpflanzung und die Bindung einer Spezies an ihr biologisches Erbe.
Um diese Themen näher zu beleuchten, muß ich als erstes Ihren Widerwillen gegen den bloßen Gedanken an männliche Milchproduktion überwinden, der zweifellos aus Ihrer Überzeugung erwächst, daß so etwas physiologisch unmöglich ist. Die genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, darunter auch diejenigen, durch die die Milchproduktion normalerweise den Frauen vorbehalten bleibt, erweisen sich als geringfügig und instabil. In diesem Kapitel möchte ich Sie davon überzeugen, daß Milchproduktion bei Männern möglich ist, und dann untersuchen, warum diese theoretische Möglichkeit in der Regel unverwirk-licht bleibt.
Unser Geschlecht ist letztlich in unseren Genen festgeschrieben, die beim Menschen in jeder Körperzelle in 23 Paaren mikroskopisch kleiner Pakete verpackt sind, den Chromosomen. In jedem dieser 23 Paare stammt ein Chromosom von der Mutter, das andere vom Vater. Man kann die 23 Chromosomenpaare numerieren und an immer gleichen Unterschieden im Aussehen erkennen. In den Paaren Nummer 1 bis 22 sehen die beiden Chromosomen im Mikroskop jeweils genau gleich aus. Anders dagegen das Paar Nummer 23, die sogenannten Geschlechtschromosomen: Hier unterscheiden sich die beiden Chromosomen; das gilt allerdings nur für Männer – sie besitzen ein großes Geschlechtschromosom (auch X-Chromosom genannt) und ein kleines (das Y-Chromosom). Frauen haben dagegen zwei gleich aussehende X-Chromosomen.
Was bewirken die Geschlechtschromosomen? Viele Gene auf dem X-Chromosom legen Eigenschaften fest, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben, beispielsweise die Fähigkeit, Rot und Grün zu unterscheiden. Das Y-Chromosom dagegen enthält Gene, die für die Entwicklung der Hoden sorgen. In der fünften Woche nach der Befruchtung entwickeln sich bei menschlichen Embryonen – männlichen wie weiblichen – Geschlechtsdrüsen, die sowohl zu Hoden als auch zu Eierstöcken werden können (»bisexuelle Potenz«). Ist ein Y-Chromosom vorhanden, schlagen diese noch nicht festgelegten Drüsen in der siebten Woche den Entwicklungsweg zu den Hoden ein; fehlt das Y-Chromosom, warten die Drüsen bis zur dreizehnten Woche und werden dann zu Eierstöcken.
Das mag überraschend erscheinen: Man hätte vielleicht erwartet, daß das zweite X-Chromosom der Mädchen die Eierstöcke entstehen läßt, während das Y-Chromosom der Jungen die Hoden erzeugt. In Wirklichkeit aber sehen Personen, die aufgrund einer Anomalie ein Y- und zwei X-Chromosomen besitzen, im wesentlichen wie Männer aus, während Personen mit drei oder nur einem X-Chromosom äußerlich Frauen sind. Solange nichts dazwischenkommt, hat unsere nicht festgelegte Geschlechtsdrüse also von Natur aus das Bestreben, sich zum Eierstock zu entwickeln; damit daraus ein Hoden wird, muß etwas hinzukommen: das Y-Chromosom.
Man ist leicht versucht, diese einfache Tatsache in emotional aufgeladene Worte zu fassen. Der Endokrinologe Alfred Jost formulierte es so: »Ein Mann zu werden, ist ein langwieriges, unangenehmes, riskantes Unterfangen; es ist eine Art Kampf gegen einen inneren Trend zur Weiblichkeit.« Chauvinisten könnten noch weiter gehen und die Mannwerdung als Heldentat preisen, die Entwicklung zur Frau dagegen als Weg des geringsten Widerstandes brandmarken. Umgekehrt kann man aber auch das Frausein als normalen menschlichen Zustand bezeichnen; Männer sind dann nur eine krankhafte Abweichung, die man leider in Kauf nehmen muß – als Preis für die Zeugung von noch mehr Frauen. Ich möchte lieber nur zur Kenntnis nehmen, daß das Y-Chromosom die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen von der Richtung der Eierstöcke auf die Richtung der Hoden umschaltet, und mich
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