Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
eine Druckerei von Franzosen eröffnet, die an Napoleon Bonapartes gescheitertem Eroberungsversuch teilgenommen hatten. Bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts lag die Buchproduktion im Osmanischen Reich hauptsächlich in den Händen von Schreibern, die bereits existierende Werke kopierten. Im frühen 18. Jahrhundert sollen noch achtzigtausend derartige Schreiber in Istanbul tätig gewesen sein.
Die Ablehnung der Druckerpresse hatte offensichtliche Konsequenzen für Alphabetisierung, Erziehung und wirtschaftlichen Erfolg. Im Jahr 1800 waren schätzungsweise nur 2 bis 3 Prozent der Bürger des Osmanischen Reichs des Lesens und Schreibens fähig, verglichen mit 60 Prozent der erwachsenen Männer und 40 Prozent der erwachsenen Frauen in England. In den Niederlanden und in Deutschland waren die Alphabetisierungsraten noch höher. Die osmanischen Gebiete lagen sogar weit hinter den europäischen Ländern mit dem niedrigsten Bildungsstand zurück, etwa hinter Portugal, wo Schätzungen zufolge nur rund 20 Prozent der Erwachsenen lesen und schreiben konnten.
Angesichts der zutiefst absolutistischen und extraktiven osmanischen Institutionen ist die Feindseligkeit des Sultans gegenüber der Druckerpresse leicht zu verstehen. Durch Bücher verbreiteten sich Ideen, und es wurde schwerer, die Bevölkerung im Zaum zu halten. Manche dieser Ideen mochten sich um nützliche neue Methoden zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums drehen, doch andere konnten subversiv sein und dazu dienen, den politischen und sozialen Status quo herauszufordern. Bücher tragen auch dazu bei, den Einfluss der Vermittler mündlich weitergegebenen Wissens zu untergraben, denn sie machen solche Kenntnisse für jedermann zugänglich, der des Lesens und Schreibens kundig ist. Dadurch wird der Status quo – die Kontrolle des Wissens durch Eliten – bedroht. Die osmanischen Sultane und das religiöse Establishment fürchteten die damit einhergehende schöpferische Zerstörung. Ihre Lösung bestand darin, das Druckwesen zu verbieten.
Die Industrielle Revolution brachte eine Umbruchphase hervor, die sich auf fast jedes Land auswirkte. Manche Nationen, wie England, ließen nicht nur Handel, Industrialisierung und Unternehmertum zu, sondern förderten diese Bereiche sehr aktiv, wodurch sie rasch wuchsen. Viele, etwa das Osmanische Reich, China und andere absolutistischen Regime, gerieten ins Hintertreffen, indem sie die Ausbreitung der Industrie blockierten oder zumindest nicht förderten. Die politischen und wirtschaftlichen Institutionen bestimmten darüber, wie technologische Neuerungen aufgenommen wurden. Dadurch entstand wieder das vertraute Muster des Wechselspiels zwischen bestehenden Institutionen und Umbruchphasen.
Das Osmanische Reich blieb bis zu seinem Zusammenbruch am Ende des Ersten Weltkriegs absolutistisch. Es gelang ihm bis dahin, sich Neuerungen wie der Druckerpresse und der daraus resultierenden schöpferischen Zerstörung zu widersetzen. Der Grund dafür, dass die Veränderungen, die in England stattfanden, im Osmanischen Reich ausblieben, ist in der natürlichen Verbindung zwischen extraktiven, absolutistischen politischen Institutionen und extraktiven Wirtschaftseinrichtungen zu suchen. Absolutismus ist Herrschaft ungeachtet der Gesetze oder der Wünsche anderer, wiewohl absolutistische Monarchen auf die Unterstützung durch eine kleine Gruppe oder Elite angewiesen sind. Beispielsweise waren die Zaren im Russland des 19. Jahrhunderts absolutistische Herrscher, die vom Adel unterstützt wurden, der ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Solche kleinen Gruppen organisierten die politischen Institutionen in einer Weise, welche die Fortsetzung ihrer Macht sicherte. In Russland gab es kein Parlament und keine politische Vertretung für andere Gesellschaftsgruppen, bis der Zar 1905 die Gründung der Duma gestattete. Allerdings untergrub er deren karge Befugnisse unverzüglich. Selbstverständlich waren die Wirtschaftsinstitutionen extraktiver Art und darauf ausgerichtet, den Zaren und den Adel so reich wie möglich werden zu lassen. Die Grundlage dafür bildeten, wie für viele extraktive Wirtschaftssysteme, Zwangsarbeit und Kontrolle, hier in der besonders üblen Form der russischen Leibeigenschaft.
Der Absolutismus war nicht die einzige politische Institutionsform, die darauf erpicht war, möglichst jede Industrialisierung zu verhindern. Obgleich absolutistische Regime nicht pluralistisch waren und sich
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