Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
als Erstes nach Bengalen im Osten vor, wobei sie die lokalen Machthaber in den Schlachten von Plassey (1757) und Buxar (1764) besiegte. Sie plünderte die Gegend aus und übernahm, in vielleicht noch intensiverer Form, die extraktiven Steuerinstitutionen der Mogulherrscher Indiens. Diese Expansion fiel mit der massiven Schrumpfung der indischen Textilindustrie zusammen, für die es in Großbritannien keinen Markt mehr gab. Die Schrumpfung wurde von Stadtflucht und erhöhter Armut begleitet. So begann ein langer Zeitraum der Rückentwicklung in Indien. Sehr bald produzierten die Inder keine Textilien mehr, sondern importierten sie aus Großbritannien und bauten stattdessen Opium an, das die East India Company in China verkaufte.
Durch den atlantischen Sklavenhandel wiederholte sich das gleiche Muster in Afrika, wenn auch auf einem zunächst niedrigeren Niveau als in Südostasien und Indien. Viele afrikanische Staaten verwandelten sich in Kriegsmaschinen mit dem Ziel, Sklaven zu erbeuten und an die Europäer zu verkaufen. Während sich die Konflikte zwischen Staaten und anderen Gemeinwesen zu unablässiger Kriegführung auswuchsen, zerfielen die staatlichen Institutionen, die in vielen Fällen ohnehin kaum zu einer politischen Zentralisierung beigetragen hatten, in großen Teilen Afrikas. Dadurch wurde beharrlichen extraktiven Institutionen sowie den gescheiterten Staaten der Gegenwart, die wir später untersuchen werden, der Weg geebnet. In einigen Gebieten Afrikas, die dem Sklavenhandel entgingen, beispielsweise in Südafrika, errichteten die Europäer andersartige Institutionen, die dem Zweck dienten, billige Arbeitskräfte für ihre Minen und Farmen freizusetzen. In Südafrika wurde ein duales System geschaffen, das 80 Prozent der Bevölkerung daran hinderte, Ausbildungsberufe zu ergreifen oder unternehmerisch, etwa in der Agrarwirtschaft, tätig zu werden. All das erklärt nicht nur, warum die Industrialisierung an großen Teilen der Welt vorüberging, sondern es verdeutlicht auch, wie sich der wirtschaftliche Fortschritt manchmal auf die Unterentwicklung in einem anderen Teil der Binnen- oder der Weltwirtschaft stützt und sie sogar hervorbringt.
10.
Die Verteilung des Wohlstands
Ganovenehre
Im England des 18. Jahrhunderts – oder, besser gesagt, in Großbritannien nach der Union zwischen England, Wales und Schottland von 1707 – hatte man eine schlichte Lösung für den Umgang mit Verbrechern: aus den Augen, aus dem Sinn – oder wenigstens außer Reichweite. Viele Häftlinge wurden in die Strafkolonien des Reiches deportiert. Vor dem Unabhängigkeitskrieg schickte man verurteilte Kriminelle in erster Linie in die amerikanischen Kolonien. Nach 1783 jedoch wurden britische Häftlinge in den Vereinigten Staaten nicht mehr mit offenen Armen aufgenommen, und die britischen Behörden mussten eine andere Heimat für sie finden. Zuerst dachte man an Westafrika, doch das Klima mit seinen lokalen Krankheiten wie Malaria und Gelbfieber, gegen die Europäer keine Immunität besaßen, erwies sich als so tödlich, dass die Behörden beschlossen, es sei sogar für Häftlinge nicht zumutbar, auf den »Friedhof des weißen Mannes« geschickt zu werden.
Eine neue Möglichkeit bot Australien, dessen Ostküste von dem großen Seefahrer James Cook erkundet worden war. Am 29. April 1770 landete Cook in einer wunderbaren Bucht, die er zu Ehren der zahlreichen Pflanzenarten, welche die ihn begleitenden Naturforscher dort vorfanden, Botany Bay nannte. Sie erschien britischen Regierungsvertretern als idealer Standort. Die Bucht hatte ein gemäßigtes Klima und hätte nicht weiter aus den Augen und aus dem Sinn sein können.
Im Januar 1788 machte sich eine Flotte mit elf Schiffen voller Häftlinge unter dem Befehl von Captain Arthur Phillip nach Botany Bay auf den Weg. Am 26. Januar, der heute als »Australia Day« gefeiert wird, schlugen die Ankömmlinge ihr Lager im Kern der heutigen Stadt Sydney auf. Sie gaben der Kolonie den Namen New South Wales. An Bord eines der Schiffe, der Alexander unter Duncan Sinclair, befand sich das Sträflingsehepaar Henry und Susannah Cable. Susannah war des Diebstahls für schuldig befunden und zunächst zum Tode verurteilt worden. Später setzte man das Strafmaß auf vierzehn Jahre Haft und Deportation in die amerikanischen Kolonien herab. Dieser Plan scheiterte durch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.
Mittlerweile verliebte sich Susannah im Gefängnis Norwich
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