Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
hinzu.
Den Veränderungen der Wählerschaft und anderer Bestandteile politischer Institutionen folgten im 19. Jahrhundert weitere Reformen. 1871 unterwarf der liberale Premierminister Gladstone das Beamtentum öffentlichen Aufnahmeprüfungen, wodurch es meritokratisch wurde, und setzte damit den Prozess der politischen Zentralisierung und des Ausbaus staatlicher Institutionen fort, der unter den Tudors begonnen hatte. Liberale und Tory-Regierungen verabschiedeten etliche Arbeitsmarktgesetze. Beispielsweise hob man den Masters and Servants Act auf, der Arbeitgebern gestattet hatte, die Bewegungsfreiheit ihrer Beschäftigten einzuschränken. Dadurch verschoben sich die Machtverhältnisse auf dem Markt zugunsten der Arbeiterschaft. Zwischen 1906 und 1914 weitete die Liberale Partei unter Führung von H. H. Asquith und David Lloyd George das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen aus, unter anderem auf eine Kranken- und Arbeitslosenversicherung, staatlich finanzierte Renten und Mindestlöhne; außerdem engagierte sie sich für eine umverteilende Besteuerung. Infolgedessen erhöhte sich der Steueranteil am Bruttosozialprodukt in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts um mehr als das Doppelte, und das Gleiche geschah in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Auch wurde das Steuersystem progressiver, so dass vermögendere Personen eine größere Last zu tragen hatten.
Gleichzeitig wurde das Erziehungswesen, das vorher hauptsächlich der Elite vorbehalten gewesen und von der Kirche betrieben worden war sowie auch armen Menschen Gebühren abverlangt hatte, zugänglicher für die Massen. Durch den Education Act von 1870 legte die Regierung die Grundlage für die Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Ab 1891 fielen Schulgebühren fort, und 1893 setzte man das Schulentlassungsalter auf elf Jahre fest. 1899 stieg es auf zwölf Jahre, und man führte Sonderbestimmungen für die Kinder bedürftiger Familien ein. Daraufhin erhöhte sich der Anteil der zehnjährigen Schulbesucher, der 1870 bei enttäuschenden 40 Prozent gelegen hatte, im Jahr 1900 auf 100 Prozent. Der Education Act von 1902 führte schließlich zu einem beträchtlichen Anstieg der Schulfinanzierung und zur Gründung der Grammar Schools, die zur Basis der britischen Sekundarausbildung wurden.
Der Tugendkreis britischer inklusiver Institutionen ist beispielhaft für die schrittweise Entwicklung eines solchen Systems. Die politischen Veränderungen zielten unmissverständlich auf inklusivere politische Institutionen ab und resultierten aus den Forderungen der selbstbewusster gewordenen Massen. Aber sie vollzogen sich nach und nach. Mit jedem Jahrzehnt wurde ein weiterer – manchmal kleinerer, manchmal größerer – Schritt in Richtung Demokratie unternommen. Jeder war von Konflikten begleitet und Unwägbarkeiten unterworfen. Aber der Tugendkreis schuf Kräfte, welche die potentiellen Gewinne derjenigen verringerten, die sich an die Macht klammerten. Daneben förderte er die Rechtsstaatlichkeit, wodurch es schwerer wurde, mit Gewalt gegen Menschen vorzugehen, die nur das forderten, was die Eliten ihrerseits einst von den Stuart-Monarchen verlangt hatten. Es wurde weniger wahrscheinlich, dass dieser Konflikt in eine umfassende Revolution umschlug, und wahrscheinlicher, dass er zugunsten einer größeren Inklusivität gelöst wurde.
Diese Art des allmählichen Wandels hat große Vorteile. Sie ist für die Elite weniger bedrohlich als der Sturz des gesamten Systems. Jeder Schritt ist klein genug, und es erscheint sinnvoll, sich auf bescheidene Forderungen einzulassen, statt eine größere Konfrontation zu riskieren. Dies erklärt teilweise, weshalb die Korngesetze ohne einen ernsteren Konflikt abgeschafft wurden. Um 1846 kontrollierten die Grundeigentümer die Gesetzgebung im Parlament nicht mehr – ein Ergebnis des First Reform Act. Wären die Ausweitung der Wahlberechtigung, die Reform der Rotten Boroughs und die Aufhebung der Korngesetze jedoch schon 1832 im Gespräch gewesen, hätten die Grundbesitzer viel mehr Widerstand geleistet. Dadurch, dass zunächst begrenzte politische Reformen durchgeführt wurden und die Aufhebung der Korngesetze erst später auf der Tagesordnung stand, entschärfte sich der Konflikt.
Der allmähliche Wandel verhinderte auch Vorstöße in unerforschte Gebiete. Ein gewaltsamer Umsturz des Systems hat zur Folge, dass etwas völlig Neues an seiner Stelle aufgebaut werden muss. Dies war während der
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