Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
die Macht für gerechtere Wettbewerbsbedingungen. Das macht es schwieriger für eine kleine Elite, die Massen niederzuschlagen, statt ihre Forderungen – oder wenigstens einen Teil davon – zu erfüllen. Daneben hatten die britischen inklusiven Institutionen bereits die Industrielle Revolution in Gang gesetzt, und das Land war stark urbanisiert. Eine städtische, konzentrierte, teilweise organisierte und mit Rechten ausgestattete Gruppe ließ sich viel weniger leicht unterdrücken als Bauern oder Leibeigene.
So wurde den Briten durch den Tugendkreis 1832 der First Reform Act beschert. Aber das war erst der Anfang einer langen Reise zu wirklicher Demokratie, denn 1832 gab die Elite nicht mehr aus den Händen, als sie es für unbedingt nötig hielt. Die Frage der Parlamentsreform wurde von der Chartistenbewegung aufgegriffen, deren Volks-Charta von 1838 die Klauseln enthielt:
Eine Stimme für jeden Mann ab einundzwanzig Jahren, der bei vollem Verstand ist und nicht wegen eines Verbrechens bestraft wurde.
Geheime Wahl: zum Schutz des Wählers bei der Abgabe seiner Stimme.
Kein Eigentumsnachweis für Parlamentsmitglieder, wodurch die Wahlkreise befähigt werden, den von ihnen bevorzugten Mann zum Abgeordneten zu wählen, sei er reich oder arm.
Bezahlung von Mitgliedern, um ehrlichen Handwerkern, Arbeitern oder anderen Personen den Dienst in einem Wahlkreis zu ermöglichen, wenn sie dafür ihre Tätigkeit unterbrechen müssen, um sich den Interessen des Landes zu widmen.
Gleich große Wahlkreise, die gleichen Wählerzahlen die gleiche Repräsentation sichern, statt dass kleinen Wahlkreisen erlaubt wird, die Stimmen von größeren zu übertrumpfen.
Jährliche Parlamente, um die wirksamste Kontrolle gegen Bestechung und Einschüchterung zu schaffen, da ein Wahlkreis bei einer einzigen Wahl in sieben Jahren gekauft werden kann (trotz geheimer Stimmabgabe), wohingegen kein Geldbeutel groß genug wäre, alle zwölf Monate einen Wahlkreis (bei allgemeinem Wahlrecht) zu kaufen, und weil Abgeordnete, wenn sie nur ein Jahr lang amtieren, ihre Wähler nicht wie heutzutage missachten und verraten können.
Die Chartistenbewegung organisierte eine Reihe von Massendemonstrationen und diskutierte während der damaligen Parlamentsperiode unablässig die Möglichkeit weiterer Reformen. Die Chartisten lösten sich zwar nach 1848 auf, doch ihnen folgten 1864 die National Reform Union und 1865 die Reform League. Im Juli 1866 gelangte das Thema durch gewalttätige Kundgebungen im Hyde Park erneut an die Spitze der politischen Tagesordnung. Der Druck machte sich in Form des Second Reform Act von 1867 bezahlt, durch den sich die Gesamtzahl der Wahlberechtigten verdoppelte und die Arbeiter in sämtlichen Wahlkreisen die Mehrheit stellten. Kurz darauf führte man die geheime Abstimmung ein und machte Anstalten, korrupte Wahlpraktiken, etwa die »Bewirtung« (im Grunde Stimmenkauf durch das Verteilen von Geschenken – gewöhnlich Geld, Lebensmittel oder Alkohol) abzuschaffen. Die Zahl der Wahlberechtigten verdoppelte sich 1884 durch den Third Reform Act erneut und umfasste damit 60 Prozent der männlichen Bevölkerung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde, durch den Representation of the People Act von 1918, sämtlichen Männern über einundzwanzig Jahren das Wahlrecht verliehen, dazu Frauen über dreißig, die selbst Steuern entrichteten oder mit einem Steuerzahler verheiratet waren. 1928 schließlich erhielten alle Frauen unter den gleichen Bedingungen wie die Männer das Wahlrecht. Die Maßnahmen von 1918 wurden während des Krieges ausgehandelt und stellten ein Quidproquo zwischen der Regierung und der Arbeiterschaft dar, die für den Kriegseinsatz und für die Waffenproduktion benötigt wurde. Außerdem dürfte die Regierung den Radikalismus der Russischen Revolution zur Kenntnis genommen haben.
Parallel zur allmählichen Entwicklung inklusiverer politischer Institutionen verlief die Tendenz zu noch inklusiveren wirtschaftlichen Institutionen. Eine wichtige Folge des First Reform Act war die Aufhebung der Korngesetze im Jahr 1846. Wie im siebten Kapitel ausgeführt, wurde jeglicher Getreideimport durch die Korngesetze untersagt, so dass die Preise hoch blieben und den Großgrundbesitzern stattliche Gewinne garantiert wurden. Die neuen Parlamentarier aus Manchester und Birmingham dagegen verlangten nach billigem Getreide und niedrigen Löhnen. Sie setzten sich durch und fügten den Grundbesitzern eine empfindliche Niederlage
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