Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
mögen, eine vielköpfige Demokratie zu errichten«.
Die Artikel der Grundverfassung sahen eine starre Gesellschaftsstruktur vor. Zuunterst waren die »Hofknechte«, zu denen in Artikel 23 angemerkt wurde: »Alle Kinder von Hofknechten sollen Hofknechte sein, und das durch alle Generationen.« Über den Hofknechten, die keine politische Macht hatten, standen die Landgrafen und Kaziken, die den Adel bilden sollten. Landgrafen wurden jeweils 48000 und Kaziken 24000 Morgen zugewiesen. Es sollte ein Parlament geben, in dem Landgrafen und Kaziken vertreten waren, doch es durfte nur über Maßnahmen debattieren, welche die acht Grundeigentümer bereits gebilligt hatten.
Wie der Versuch, eine drakonische Herrschaft in Virginia zu errichten, fehlgeschlagen war, so scheiterten auch die Pläne zum Aufbau ähnlicher Institutionen in Maryland und Carolina. Die Gründe ähnelten sich ebenfalls: In sämtlichen Fällen erwies es sich als unmöglich, Siedler in eine starre, hierarchische Gesellschaft zu zwängen, da sie in der Neuen Welt schlicht zu viele andere Möglichkeiten hatten. Daher musste man ihnen stärkere Arbeitsanreize liefern. Und bald darauf forderten sie mehr wirtschaftliche Freiheit und zusätzliche politische Rechte. Auch in Maryland bestanden die Siedler darauf, eigenes Land zu erhalten, und sie bedrängten Lord Baltimore, bis er eine Versammlung gründete. Im Jahr 1691 veranlasste die Versammlung den König, Maryland zur Kronkolonie zu erklären, womit die politischen Privilegien Baltimores und seiner hohen Gefolgsleute aufgehoben wurden. Ein ähnlich langwieriges Ringen erfolgte in North und South Carolina, wobei die Grundeigentümer auch hier den Kürzeren zogen. 1729 wurde South Carolina ebenfalls zur Kronkolonie.
In den 1720er Jahren hatten sämtliche dreizehn Kolonien der künftigen Vereinigten Staaten ähnliche Regierungsstrukturen. In allen Fällen gab es einen Gouverneur und eine auf dem Stimmrecht männlicher Grundbesitzer beruhende Versammlung. Wirkliche Demokratien existierten noch nicht, da Frauen, Sklaven und landlose Männer nicht wählen durften. Doch die politischen Rechte waren im Vergleich zu zeitgenössischen Gesellschaften andernorts sehr großzügig. Die Versammlungen und ihre Führer bildeten 1774 den Ersten Kontinentalkongress, der die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten vorbereitete. Die Versammlungen vertraten den Standpunkt, dass sie befugt waren, sowohl ihre eigene Mitgliedschaft als auch ihre Steuerrechte zu bestimmen. Dadurch entstanden, wie wir wissen, Probleme für die englische Kolonialregierung.
Eine Geschichte aus zwei Verfassungen
Mittlerweile dürfte deutlich geworden sein, weshalb es kein Zufall war, dass die Vereinigten Staaten – und nicht Mexiko – sich eine Verfassung gaben und durchsetzten, die demokratische Prinzipien verfocht, den Gebrauch politischer Macht einschränkte und diese Macht auf breiter Ebene in der Gesellschaft verteilte. Das Dokument, das die Delegierten im Mai 1787 in Philadelphia unterzeichneten, war das Ergebnis eines langen Prozesses, der 1619 mit der Bildung der Generalversammlung in Jamestown seinen Anfang genommen hatte.
Der Gegensatz zwischen dem Verfassungsprozess, der sich zur Zeit der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten vollzog, und dem Prozess, der ein wenig später in Mexiko eingeleitet wurde, ist eklatant. Im Februar 1808 marschierten Napoleon Bonapartes französische Heere in Spanien ein. Bis März hatten sie Madrid erobert. Im September wurde der spanische König Ferdinand gefangen genommen und musste abdanken. Eine nationale Junta, die Junta Central, übernahm seine Rolle und führte den Kampf gegen die Franzosen fort. Die Junta tagte zunächst in Aranjuez und zog sich dann vor den französischen Armeen nach Süden zurück. Schließlich erreichte sie den Hafen Cádiz, der von napoleonischen Streitkräften belagert wurde, ihnen jedoch standhielt. Hier gründete die Junta eine als Cortes bezeichnete Ständeversammlung. 1812 legten die Cortes die Verfassung von Cádiz vor, in der die Einführung einer konstitutionellen Monarchie auf der Basis der Volkssouveränität gefordert wurde. Außerdem rief man dazu auf, Sonderprivilegien abzuschaffen und die Gleichheit vor dem Gesetz zu realisieren. Solche Forderungen waren den Eliten von Südamerika ein Gräuel, denn sie herrschten noch in einer institutionellen Umgebung, die von der encomienda , Zwangsarbeit und der von ihnen und dem Kolonialstaat beanspruchten absoluten Macht
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