Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
diesen Schritt erst nach und nach. Nirgendwo wurde Frauen oder Sklaven das Wahlrecht verliehen, und obwohl man Eigentums- und Wohlstandsrestriktionen für weiße Männer aufhob, wurde schwarzen Männern dieses Recht explizit verwehrt. Sklaverei galt als fraglos verfassungsgemäß, während das Dokument in Philadelphia niedergeschrieben wurde, und die schäbigsten Verhandlungen drehten sich um die Verteilung der Repräsentantenhaussitze zwischen den Staaten. Diese Sitze sollten entsprechend der Bevölkerungszahl zugewiesen werden, doch dann verlangten die Kongressabgeordneten der Südstaaten, dass die Sklaven mitzuzählen seien. Die Vertreter der Nordstaaten erhoben Einspruch, und es kam zu einem Kompromiss: Bei der Verteilung der Sitze im Repräsentantenhaus wurde ein Sklave drei Fünfteln einer freien Person gleichgesetzt.
Die Konflikte zwischen dem Norden und dem Süden der Vereinigten Staaten traten während der Arbeit an der Verfassung in den Hintergrund, denn man konzentrierte sich darauf, die Drei-Fünftel-Regel und andere Kompromisse zu formulieren. Im Lauf der Zeit fügte man neue Absprachen hinzu, zum Beispiel den Missouri-Kompromiss, dem zufolge jeweils ein die Sklaverei befürwortender und ein die Sklaverei ablehnender Staat der Union gemeinsam beitraten, um das Gleichgewicht im Senat zu wahren. Durch diese Flickschusterei konnten die politischen Institutionen der Vereinigten Staaten friedlich arbeiten, bis die Konflikte schließlich durch den Bürgerkrieg zugunsten des Nordens gelöst wurden.
Der Bürgerkrieg war blutig und destruktiv, doch sowohl davor als auch danach eröffneten sich für einen großen Teil der Bevölkerung, besonders im Norden und Westen des Landes, umfassende wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Situation in Mexiko dagegen war ganz anders. Während die Vereinigten Staaten zwischen 1860 und 1865 fünf Jahre politischer Instabilität durchmachten, erlebte Mexiko in den ersten fünfzig Jahren seiner Unabhängigkeit eine fast durchgängige Instabilität. Das beste Beispiel hierfür liefert die Karriere von Antonio López de Santa Ana.
Santa Ana, der Sohn eines Kolonialbeamten in Veracruz, erlangte als Soldat, der in den Unabhängigkeitskriegen für die Spanier kämpfte, Bekanntheit. 1821 wechselte er zu Iturbide über und blickte nie mehr zurück. Im Mai 1833 wurde er das erste Mal Präsident von Mexiko, doch er übte sein Amt nicht einmal einen Monat lang aus und überließ es dann Valentin Gómez Farías. Fünfzehn Tage später übernahm Santa Ana erneut die Macht. Diese Amtsperiode dauerte jedoch nicht länger als die erste, und Anfang Juli wurde er wieder von Gómez Farías abgelöst. Die beiden setzten diesen Tanz bis Mitte 1835 fort, als Santa Ana von Miguel Barragán ersetzt wurde. Aber Santa Ana ließ sich nicht unterkriegen und errang die Präsidentschaft erneut in den Jahren 1839, 1841, 1844, 1847 und schließlich zwischen 1853 und 1855. Insgesamt war er elfmal Präsident. Unter seine Ägide gingen Alamo und Texas verloren, und er führte den katastrophalen mexikanisch-amerikanischen Krieg, der den Verlust des künftigen New Mexico und des künftigen Arizona nach sich zog. Zwischen 1824 und 1867 gab es zweiundfünfzig Präsidenten in Mexiko, von denen nur wenige durch konstitutionell sanktionierte Verfahren an die Macht gelangten.
Die Folge dieser beispiellosen politischen Instabilität für die Wirtschaft und die Motivation der Menschen dürfte auf der Hand liegen. Die Situation führte zu höchst unsicheren Eigentumsrechten sowie zu einer erheblichen Schwächung des mexikanischen Staates, der nur noch wenig Autorität besaß und kaum in der Lage war, Steuern zu erheben oder öffentliche Dienstleistungen zu organisieren. Obwohl Santa Ana als Präsident Mexikos fungierte, befanden sich große Teile des Landes nicht unter seiner Kontrolle, was die Annexion von Texas durch die Vereinigten Staaten ermöglichte. Zudem diente die mexikanische Unabhängigkeitserklärung, wie erwähnt, dem Ziel, die in der Kolonialzeit entwickelten Wirtschaftsinstitutionen zu bewahren, wodurch Mexiko, mit den Worten des großen deutschen Erforschers und Geographen von Lateinamerika, Alexander von Humboldt, »das Land der Ungleichheit« wurde. Derartige Institutionen, welche die Gesellschaft von der Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung und der Schaffung von Monopolen abhängig machten, verhinderten, dass für die große Masse der Bevölkerung wirtschaftliche Anreize geschaffen wurden und sie
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