Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
geprägt wurde.
Der Zusammenbruch des spanischen Staates und die napoleonische Invasion lösten überall im kolonialen Lateinamerika eine Verfassungskrise aus. Man diskutierte ausgiebig darüber, ob man die Autorität der Junta Central anerkennen solle, und die Folge war, dass viele lateinamerikanische Gebiete eigene Juntas bildeten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Möglichkeit erahnten, sich wahre Unabhängigkeit von Spanien zu verschaffen. Die erste Unabhängigkeitserklärung wurde 1809 im bolivianischen La Paz abgegeben, wo aber aus Peru entsandte spanische Soldaten die Rebellion rasch niederwarfen.
In Mexiko war die politische Einstellung der Elite im Jahr 1810 durch die Ablehnung der von einem Priester, Pater Miguel Hidalgo, angeführten Revolte geprägt worden. Nachdem Hidalgos Heer am 23. September Guanajuato gebrandschatzt hatte, tötete es den Intendanten, den höchsten Kolonialvertreter, und begann dann, unterschiedslos alle weißhäutigen Menschen umzubringen. Es handelte sich eher um einen Klassenkrieg oder sogar um eine ethnische Säuberung als um eine Unabhängigkeitsbewegung, und sämtliche Eliten vereinigten sich zum Widerstand dagegen. Doch Unabhängigkeitsbewegungen wurden, wenn sie eine allgemeine Beteiligung der Bevölkerung an der Politik anstrebten, generell von den lokalen Eliten, nicht bloß von den Spaniern, abgelehnt. Infolgedessen betrachteten die führenden Schichten Mexikos die Verfassung von Cádiz, die den Weg zu den politischen Rechten des Volkes ebnete, mit äußerster Skepsis; sie waren nicht bereit, ihre Legitimität je anzuerkennen.
Im Jahr 1815, als Napoleons europäisches Reich auseinanderbrach, kehrte König Ferdinand VII. an die Macht zurück, und die Verfassung von Cádiz wurde aufgehoben. Während die spanische Krone versuchte, ihre amerikanischen Kolonien wieder an sich zu bringen, hatte sie keine Probleme mit dem königstreuen Mexiko. Doch 1820 meuterte ein spanisches Heer, das aus Cádiz nach Amerika segeln sollte, um dort die spanische Autorität wiederherzustellen, gegen Ferdinand VII. Bald schlossen sich ihm überall im Land andere Einheiten an, und Ferdinand musste die Verfassung von Cádiz wiederaufleben lassen und die Cortes erneut einberufen. Diese Ständeversammlung war noch radikaler als jene, welche die Verfassung verabschiedet hatte, und sie schlug vor, sämtliche Formen der Zwangsarbeit zu beseitigen. Daneben attackierte sie Privilegien wie das Recht des Militärs auf eine eigene Gerichtsbarkeit. Da die Eliten in Mexiko letztlich mit der Durchsetzung dieses Dokuments rechnen mussten, beschlossen sie, dass es besser sei, im Alleingang zu handeln und die Unabhängigkeit auszurufen.
Die Unabhängigkeitsbewegung wurde von Augustin de Iturbide geleitet, der als Offizier im spanischen Heer gedient hatte. Am 24. Februar 1821 veröffentlichte er den Plan de Iguala, der seine Vision für ein selbständiges Mexiko enthielt. Der Plan sah eine konstitutionelle Monarchie mit einem mexikanischen Kaiser vor und verwarf jene Klauseln der Verfassung von Cádiz, welche die mexikanischen Führungsschichten als so bedrohlich für ihren Status und ihre Privilegien empfanden. Er stieß sofort auf Beifall, und Spanien begriff sehr schnell, dass es das Unvermeidliche nicht verhindern konnte.
Aber Iturbide organisierte nicht nur die mexikanische Abtrennung von Spanien. Da er sich des Machtvakuums bewusst war, nutzte er seine militärische Rückendeckung, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen. Dabei handelte es sich um eine Position, die der große südamerikanische Unabhängigkeitsführer Simón Bolivar als »abhängig von Gott und den Bajonetten« bezeichnete. Iturbides Macht wurde nicht durch die gleichen politischen Institutionen eingeschränkt wie die der Präsidenten der Vereinigten Staaten, weshalb er sich rasch zum Diktator aufschwang. Bis Oktober 1822 hatte er den von der Verfassung sanktionierten Kongress entlassen und durch eine Junta seiner Wahl ersetzt. Er blieb zwar nicht lange an der Macht, doch dieses Muster der Ereignisse sollte sich im Mexiko des 19. Jahrhunderts dauernd wiederholen.
Die Verfassung der Vereinigten Staaten brachte keine den heutigen Maßstäben entsprechende Demokratie hervor. Es blieb den einzelnen Staaten überlassen zu bestimmen, wer wählen durfte. Während die nördlichen Staaten rasch sämtlichen weißen Männern, unabhängig von ihrem Einkommen oder ihrem Besitz, das Wahlrecht einräumten, vollzogen die südlichen Staaten
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