Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
noch von Neuerungen begleitet. Und es war nicht nachhaltig. Um die Zeit des Ersten Weltkriegs veranlassten die zunehmende politische Instabilität und bewaffnete Aufstände die argentinische Elite zu dem Versuch, das politische System auszuweiten, doch dadurch wurden nicht zu zügelnde Kräfte mobilisiert, und im Jahr 1930 ereignete sich der erste Militärputsch. Danach schwankte Argentinien bis 1983 zwischen Diktatur und Demokratie und zwischen verschiedenen extraktiven Institutionen hin und her. Unter der Militärherrschaft fanden Massenrepressionen statt, die in den 1970er Jahren mit mindestens neuntausend offiziellen Hinrichtungen – und wahrscheinlich viel mehr illegalen Opfern – ihren Höhepunkt erreichten. Hunderttausende wurden inhaftiert und gefoltert.
In den Zeiten der Zivilherrschaft wurden immerhin Wahlen abgehalten. Man konnte also von einer Art Demokratie sprechen, aber das politische System war keineswegs inklusiv. Seit dem Aufstieg Peróns in den 1940er Jahren dominierte im demokratischen Argentinien die von ihm geschaffene politische Partei namens Partido Justicialista, die man gewöhnlich nur als Perónistische Partei bezeichnet. Die Perónisten gewannen die Wahlen dank eines riesigen politischen Apparats, der für Stimmenkauf, Protektion und Korruption sorgte sowie Regierungsaufträge und Posten im Austausch gegen politische Unterstützung verteilte. Die Macht war vornehmlich in der Perónistischen Partei konzentriert, die kaum Kontrollen unterlag, jedenfalls in dem Zeitraum, in dem das Militär sie nicht aus der Macht drängte. Wie erwähnt, konnte der Oberste Gerichtshof, wenn er eine Maßnahme in Frage stellte, nur den Kürzeren ziehen.
In den 1940er Jahren hatte Perón die Arbeiterbewegung zu seiner politischen Basis gemacht. Als seine Partei in den 1970er und 1980er Jahren durch militärische Repressionen geschwächt wurde, machte sie sich einfach daran, Stimmen von anderen zu kaufen. Die Wirtschaftspolitik und die Wirtschaftsinstitutionen hatten den Zweck, den Anhängern der Partei Einnahmen zu verschaffen, und nicht etwa den, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Als Präsident Menem in den 1990er Jahren durch die Befristung seiner Amtszeit an einer neuen Kandidatur gehindert wurde, änderte er einfach die Verfassung und strich die Befristung. Wie El Corralito zeigt, können argentinische Regierungen, selbst wenn sie auf demokratischem Weg gewählt werden, ungestraft Eigentumsrechte missachten und ihre Bürger enteignen. Die Präsidenten und die politische Elite unterliegen in Argentinien kaum einer Kontrolle, und von Pluralismus kann keine Rede sein.
Was Kuznets – und zweifellos viele andere Besucher von Buenos Aires – verblüffte, war die Tatsache, dass die Stadt sich so sehr von Lima, Guatemala City oder Mexiko City zu unterscheiden schien. Man bekommt keine Ureinwohner und keine Nachfahren von Sklaven zu Gesicht. Hauptsächlich sieht man die prächtige Architektur, die während der Belle Époque in den Jahren des Wachstums unter extraktiven Institutionen errichtet wurde. Aber dies ist nur ein Teil Argentiniens. Menem zum Beispiel wurde in Anillaco geboren, in der gebirgigen Provinz La Rioja im Nordwesten von Buenos Aires, wo er drei Amtszeiten lang Provinzgouverneur war.
Während der Eroberung Amerikas durch die Spanier war dieser Teil Argentiniens eine abgelegene, von Ureinwohnern dicht besiedelte Region des Inkareiches (siehe Karte 1). Die Spanier richteten hier encomiendas ein, und dann entwickelte sich eine äußerst extraktive Wirtschaft, die sich auf den Anbau von Nahrungsmitteln und die Züchtung von Maultieren für die Bergleute von Potosí im Norden konzentrierte. Überhaupt hatte La Rioja mehr mit Potosí in Bolivien als mit Buenos Aires gemeinsam. Im 19. Jahrhundert brachte La Rioja den berühmten Kriegsherrn Facundo Quirouga hervor, der die Gegend gesetzlos verwaltete und mit seiner Armee gen Buenos Aires marschierte.
Die Geschichte der Entwicklung argentinischer politischer Institutionen handelt davon, wie die im Innern gelegenen Provinzen, etwa La Rioja, Vereinbarungen mit Buenos Aires erzielten. Dabei ging es um Waffenstillstände: Die Kriegsherren von La Rioja erklärten sich bereit, Buenos Aires in Ruhe zu lassen, damit es Geld erwirtschaften konnte. Als Gegenleistung verzichtete die herrschende Elite von Buenos Aires darauf, die Institutionen im Landesinneren zu reformieren. Während Argentinien also auf den ersten Blick wenig mit Peru oder
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