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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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überzeugend nachweisen, dass die Religion von Belang ist? Dieses Argument, obwohl plausibel, trifft ebenfalls nicht zu. Ja, Länder wie Syrien und Ägypten sind arm, und ihre Bevölkerung besteht in erster Linie aus Muslimen. Aber sie weisen auch für den Wohlstand viel entscheidendere systemische Unterschiede auf. Zum einen waren sie alle Provinzen des Osmanischen Reiches, das ihre Entwicklung nachdrücklich negativ beeinflusste. Nach dem Zusammenbruch der osmanischen Herrschaft wurde der Nahe Osten von den englischen und französischen Kolonialmächten okkupiert, was erneut ihre Möglichkeiten beschnitt. Nach der Unabhängigkeit folgten sie dem Beispiel großer Teile der einstigen Kolonien und bauten hierarchische, autoritäre Regime und nur wenige der politischen Institutionen auf, die, wie wir noch ausführen werden, entscheidend für den ökonomischen Erfolg sind. Diese Entwicklungen wurden hauptsächlich durch die Geschichte der osmanischen und der europäischen Herrschaft geprägt. Es lässt sich also kein plausibler Zusammenhang zwischen dem Islam und der Armut im Nahen Osten herstellen.
    Die Rolle dieser historischen Ereignisse – und nicht der kulturellen Faktoren – für die nahöstliche Wirtschaftsentwicklung zeigt sich auch an der Tatsache, dass diejenigen Teile des Nahen Ostens, die sich dem Zugriff des Osmanischen Reiches und der europäischen Kolonialmächte zumindest vorübergehend entzogen, wie zum Beispiel Ägypten zwischen 1805 und 1848 unter Muhammad Ali, einen Pfad des schnellen wirtschaftlichen Wandels einschlagen konnten. Muhammad Ali riss nach dem Rückzug der französischen Streitkräfte, die Ägypten unter Napoleon Bonaparte besetzt hatten, die Macht an sich. Indem er die Schwäche der damaligen osmanischen Herrschaft über das ägyptische Territorium nutzte, konnte er seine eigene Dynastie begründen, die bis 1952, also bis zur ägyptischen Revolution unter Nasser, fortbestehen sollte. Muhammad Alis erzwungene Reformen brachten Ägypten tatsächlich Wachstum, da die staatliche Bürokratie, das Heer und das Steuersystem modernisiert und die Landwirtschaft und die Industrie ausgebaut wurden. Allerdings endete dieser Prozess der Modernisierung und des Wachstums nach Alis Tod, als Ägypten unter europäischen Einfluss geriet.
    Aber vielleicht sind die Faktoren, auf die es ankommt, eben nicht religiöser Natur, sondern an spezifische Nationalkulturen gebunden. Könnte der Einfluss der englischen Kultur die Erklärung dafür liefern, dass die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien so wohlhabend sind? Obwohl diese Überlegung zunächst plausibel klingen mag, ist sie ebenfalls abwegig. Ja, Kanada und die Vereinigten Staaten waren englische Kolonien, doch das Gleiche gilt für Sierra Leone und Nigeria. Das Wohlstandsgefälle zwischen den einstigen englischen Kolonien ist so groß wie das auf der ganzen Welt. Das englische Vermächtnis kann also nicht der Grund für den Erfolg Nordamerikas sein.
    Es gibt aber noch eine weitere Version der Kultur-Hypothese: Vielleicht kommt es nicht auf den Gegensatz zwischen »englisch« und »nichtenglisch« an, sondern auf den zwischen »europäisch« und »nichteuropäisch«. Könnte es sein, dass die Europäer infolge ihres Arbeitsethos, ihrer Lebensanschauung, ihrer judäo-christlichen Werte oder ihres römischen Erbes irgendwie überlegen sind? Es stimmt, dass Westeuropa und Nordamerika, unter deren Bewohnern Menschen europäischer Herkunft überwiegen, die wohlhabendsten Regionen der Welt sind. Könnte es das herausragende kulturelle Vermächtnis der Europäer sein, das diesem Wohlstand zugrunde liegt und die letzte Zuflucht für die Kultur-Hypothese liefert?
    Leider hat diese Version genauso wenig Erklärungspotential wie die anderen. In Argentinien und Uruguay ist ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung europäischer Abstammung als in Kanada und den Vereinigten Staaten, doch die Wirtschaftsleistung Argentiniens und Uruguays lässt stark zu wünschen übrig. Japan und Singapur hingegen hatten stets nur sehr wenige Bewohner europäischer Herkunft, sind jedoch genauso wohlhabend wie viele Teile Westeuropas. Und China ist – trotz vieler Mängel seines wirtschaftlichen und politischen Systems – der am schnellsten wachsende Staat der vergangenen drei Jahrzehnte. Die Armut des Landes bis zu Mao Zedongs Tod hatte nichts mit der chinesischen Kultur zu tun, sondern sie war auf Maos katastrophale Politik und auf seine Wirtschaftsorganisation

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